Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 12.07.2013 – 2 UF 227/12 –
Vorinstanz: Amtsgericht Marl, 36 F 219/11
Normen: §§ 1666, 1666a BGB
Leitsätze:
Im Rahmen der §§ 1666, 1666a BGB ist stets zu beachten, dass kein Kind Anspruch auf „Idealeltern“ und optimale Förderung hat und sich die staatlichen Eingriffe auf die Abwehr von Gefahren beschränken. Für die Trennung der Kinder von den Eltern oder einem Elternteil ist es daher nicht ausreichend, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zur Erziehung und Förderung besser geeignet sind. Vielmehr gehören die Eltern und deren gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 15.10.2012 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Marl wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird endgültig auf 3.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin lebte ursprünglich mit ihren älteren Kindern V, V2 und B im Landkreis Karlsruhe. Der Antragsgegner war in erster Ehe mit Frau G (im Folgenden: Kindesmutter) verheiratet. Aus dieser Ehe sind zwei Kinder, V2, geboren am ##.##.1997, und P, geboren am ##.##.2000, hervorgegangen. Mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Marl vom 07.04.2003 – 26 F 124/02 – wurde dem Antragsgegner gemeinsam mit der Kindesmutter die elterliche Sorge für das Kind V2 entzogen und auf das Jugendamt der Stadt N übertragen. In dem seinerzeit eingeholten Gutachten der Sachverständigen Diplom-Psychologin Dr. U vom 25.11.2002 heißt es hinsichtlich des Antragsgegners unter anderem, dass dieser eine dissoziale Störung des Erlebens und Verhaltens im Sinne einer haltschwachen Persönlichkeitsstörung habe und er in Auseinandersetzungen mit bestehenden Problemlagen sich passiv-vermeidend verhalte, indem er seine Verantwortung oder Mitverantwortung leugne oder bagatellisiere. Ein Mangel an Einfühlungsvermögen und Gefühlsbeteiligung habe auch in seinen Schilderungen der seinerseits eingeräumten Misshandlungen des Stiefkindes O vorgelegen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Antragsgegners wies das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 5.11.2003 – 8 UF 84/03 – zurück.
Als die Antragstellerin den Antragsgegner kennenlernte, zog sie mit diesem und ihren drei älteren Kindern aus erster Ehe, V, V2 und B, nach N. Am ##.##.2009 heirateten die Antragstellerin und der Antragsgegner. Aus der Ehe entstammte das minderjährige Kind K, geboren am ##.##.2013 (im Folgenden: das Kind). Bis November 2010 lebten die Antragstellerin und der Antragsgegner mit dem Kind und den drei Kindern der Antragstellerin aus erster Ehe gemeinsam in der Wohnung I-Straße 14 in N.
Das Jugendamt der Stadt N berichtete unter dem 3.8.2011, dass der Alltag der Familie bis zum Zeitpunkt des Auszuges durch ständige Streitigkeiten des Antragsgegners mit der Antragstellerin oder seinen Stiefkindern bestimmt gewesen sei; mehrfach sei die Polizei gerufen worden. Besonders schlimm sei die Situation für das Kind, da dieses bisher in dem Spannungsfeld der Antragstellerin und des Antragsgegners gelebt habe und daher zu befürchten sei, dass es auch weiterhin als Machtobjekt zwischen den Eltern stehe und dahingehend missbraucht werde.
Im November 2010 trennten sich die Antragstellerin und der Antragsgegner. Mit Beschluss vom 11.11.2010 – 36 F 386/10 – übertrug das Amtsgericht Marl der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind und wies ihr mit weiteren Beschluss vom 11.11.2010 – 36 F 385/10 – die eheliche Wohnung zu. Der Antragsgegner zog am 15.2.2011 aus der ehelichen Wohnung aus und nahm sich eine eigene Wohnung gegenüber der vormals ehelichen Wohnung.
Unter dem 24.5.2011 stellte die Antragstellerin vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Marl den Antrag, das Umgangsrecht zwischen dem Antragsgegner und dem Kind zu regeln. Der Antragsgegner und die Antragstellerin schlossen im Verfahren vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Marl – 36 F 164/11 – in der mündlichen Verhandlung am 16.11.2011 eine Umgangsvereinbarung dahingehend, dass der Antragsgegner berechtigt ist, das Kind alle zwei Monate am jeweils ersten Wochenende eines Monats um 18:00 Uhr abzuholen und bis Sonntag 18:00 Uhr zurück zu bringen, beginnend mit dem 1.12.2011.
Seit dem 3.5.2011 wurde die Antragstellerin von einer sozialpädagogischen Familienhilfe in N unterstützt. Mitte 2011 zog die Antragstellerin mit ihren Kindern aus erster Ehe und dem Kind nach X in den Kreis Karlsruhe, wo sie zunächst bei einer Freundin lebte. Im Januar 2012 bezog sie eine 2-Zimmer Sozialwohnung. Nachdem eine Meldung der Polizei über den unsauberen Zustand der Wohnung sowie eine Mitteilung der Schule eines der älteren Kinder über Verwahrlosungstendenzen eingegangen waren, erhielt die Antragstellerin seit dem 17.2.2012 eine sozialpädagogische Familienhilfe durch den Landkreis Karlsruhe. Nach dem Bericht des Jugendamtes des Landkreises Karlsruhe von 23.2.2012 sei von einer Kindeswohlgefährdung hinsichtlich des Kindes, welches inzwischen den Kindergarten besuche, nicht auszugehen. Sowohl nach den Erfahrungen des Jugendamtes der Stadt N als auch denen des Landkreises Karlsruhe verlaufe die Zusammenarbeit mit der Antragstellerin gut.
Der Antragsgegner war ursprünglich arbeitslos; sodann war er für einen Zeitraum von etwa vier Monaten als Gebäudereiniger tätig. Diese Anstellung verlor der Antragsgegner, weil seine Arbeitszeiten mit seinen Umgangszeiten kollidierten. Der Antragsgegner hat eine neue Lebensgefährtin, Frau M2.
Die Antragstellerin hat behauptet, mit dem Antragsgegner seien keinerlei Absprachen über die Erziehungsangelegenheiten hinsichtlich des Kindes möglich. Es habe ständig erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und dem Antragsgegner gegeben; die Erziehungsstrategie, die der Antragsgegner hinsichtlich ihrer drei älteren Kinder zu Tage habe treten lassen, sei auch nunmehr im Hinblick auf die Umgangskontakte mit dem Kind erkennbar geworden. Der Aufenthalt des Kindes bei ihr sei durch den Antragsgegner nachhaltig in Frage gestellt, da er selbst erklärt habe, er bestehe zukünftig darauf, dass das Kind bei ihm aufwachse. Überdies bezeichne er ihre anderen Kinder als kriminell und zu laut, so dass das Kind nicht in Ruhe und Sorgfalt aufwachsen könne. Der Antragsgegner habe in seiner neuen Wohnung ein eigenes Kinderzimmer eingerichtet und beabsichtige, das Kind in absehbarer Zeit ganz zu sich zu nehmen. Auch die Umgangskontakte verliefen nicht problemlos, da der Antragsgegner immer wieder den Kontakt zu ihr aufzunehmen versuche; deswegen sei dringend geboten, dass die Sorgerechtsfrage insgesamt geklärt werde. Dementsprechend sei ihr das alleinige Sorgerecht für das Kind zu übertragen. Der Antragsgegner sei nicht in der Lage, seine eigenen Bedürfnisse hinter denen des Kindes zurückzustellen, was sich auch auf die Erziehung des Kindes auswirke.
Die Antragstellerin hat beantragt,
ihr das alleinige elterliche Sorgerecht für das minderjährige Kind K, geboren am 12.02.2010, zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen und
widerantragend ihm die elterliche Sorge für das minderjährige Kind K, geboren am 12.02.2010, zu übertragen.
Der Antragsgegner hat gemeint, dass das Kind bei ihm wesentlich besser aufgehoben sei als bei der Antragstellerin. Er hat behauptet, die Antragstellerin sei erziehungsungeeignet, was sich daran zeige, dass sie nicht einmal mit ihren Kindern aus früherer Ehe erziehungsmäßig einigermaßen klar gekommen sei. Die Söhne V und V2 litten unter ADHS und gestörtem Sozialverhalten. Auch verhielten sich die älteren Kinder rüde und umgezogen, was sich nachteilig auf das Kind auswirke, Ursache für ständige Auseinandersetzungen und überdies auch eine Ursache für das Scheitern der Ehe gewesen sei. Einer der Söhne besuche die Sonderschule, wo er völlig unbefriedigende Leistungen erziele; insbesondere sein Sozialverhalten werde von der Schule als sehr negativ geschildert. Gegen den Sohn sei ein Verfahren wegen Diebstahls eingeleitet worden und es sei ihm seitens der Schule ein unbefriedigendes Sozialverhalten attestiert worden. Überdies weise der Bericht des Jugendamtes des Kreises Karlsruhe auf erhebliche Defizite der Antragstellerin bei der Versorgung ihrer Kinder hin. Soweit er selber den Kontakt zur Antragstellerin suche, geschehe dies allein, um sein Umgangsrecht mit dem Kind wahrzunehmen. Im Übrigen sei es die Antragstellerin, die Umgangskontakte nicht verlässlich durchführe. Aufgrund des Umstandes, dass die Antragstellerin wieder nach X verzogen sei, sei das Kind den Zwistigkeiten zwischen ihr, ihren Kindern aus erster Ehe und ihrem Ex-Mann ausgesetzt. Soweit seine häusliche Situation betroffen sei, sei seitens des Jugendamtes der Stadt N festgestellt worden, dass er über ausreichend Raum verfüge, um für das Kind in seiner Wohnung zu sorgen; überdies habe er einen Kindertagesstättenplatz für 45 Stunden in der Woche zugesagt erhalten. Letztlich sei auch beachtlich, dass das Kind in N noch Kontakte zur Großmutter, zu der es ein inniges Verhältnis gehabt habe, haben könne; gleiches gelte auch für die übrigen Halbgeschwister V2 und P.
Das Jugendamt der Stadt N hat mit Bericht vom 3.8.2011 die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Antragstellerin befürwortet. Das Familienleben sei durch ständige Streitigkeiten des Antragsgegners mit der Antragstellerin oder den Stiefkindern bestimmt gewesen. Mehrfach sei die Polizei gerufen worden. Besonders schlimm sei diese Situation auch für das gemeinsame Kind gewesen, da es im Spannungsfeld seiner Eltern gelebt habe und befürchtet werden müsse, dass es auch weiter als Machtobjekt zwischen diesen stehe und dahingehend missbraucht werde. Das Verhalten des Antragsgegners beeinträchtige das Familienleben. Als die Antragsgegnerin noch in N gewohnt habe, sei der Antragsgegner mehrmals täglich erschienen und habe verlangt, das Kind zu sehen, wobei er sich oftmals Zugang zu der Wohnung verschafft und Streit mit der Antragstellerin oder den Stiefkindern begonnen habe; die Antragstellerin habe befürchtet, dass es nicht möglich sei, ein geregeltes Leben zu führen, solange sie im Umfeld des Antragsgegners lebe. Die Umgangskontakte seien ursprünglich sehr unregelmäßig verlaufen; der Antragsgegner habe das Kind an einem Nachmittag für 1 Stunde, am nächsten Tag für 2 Stunden und am übernächsten Tag gar nicht abgeholt. Absprachen hinsichtlich des Kindes zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner seien nur schwer möglich und die Umsetzung immer problematisch und teilweise mit Auseinandersetzungen verbunden gewesen. In der Vergangenheit seien mit dem Kindeseltern seitens des Jugendamtes der Stadt N Gespräche geführt worden; es seien aber keine lösungsorientierten Ansätze erarbeitet worden, da sich die Zusammenarbeit zwischen dem Jugendamt und dem Antragsgegner als zunehmend schwieriger gestaltet habe. Insgesamt sei der Eindruck entstanden, dass ein Kampf um das gemeinsame Kind geführt werde und der Antragsgegner die Erziehungsmethoden der Antragstellerin und das Verhalten ihrer Kinder gegen sie verwenden wolle. Um dem Kind eine gesunde Entwicklung in einer streitfreien Umgebung zu ermöglichen und ihn vor den verbalen Auseinandersetzungen des Antragsgegners und der Antragstellerin zu schützen, sei das alleinige Sorgerecht auf die Antragstellerin zu übertragen.
Das Jugendamt des Landkreises Karlsruhe hat mit Bericht vom 23.2.2012 berichtet, dass die seitens der Antragstellerin mit ihren Kindern bewohnte Sozialwohnung sich in einem hygienisch normalen Zustand befunden habe, auch wenn noch eine Optimierung möglich gewesen sei. Das Kind werde durch den Besuch des Kindergartens profitieren, da es aus dem momentanen Spannungsfeld genommen worden sei, Kontakt zu Gleichaltrigen erhalte und in seiner Entwicklung gefördert werde; von einer Kindeswohlgefährdung sei nicht auszugehen. Auch die Beziehung zu den älteren Geschwistern sei als positiv erlebt zu bewerten.
Der Verfahrensbeistand hat eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Antragstellerin befürwortet, da zwischen den Eltern keine vernünftige Kommunikation möglich sei und der Antragsgegner alles daran setze, die Kindesmutter in ein schlechtes Licht zu setzen.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Marl hat mit am 15.10.2012 erlassenen Beschluss der Antragstellerin die alleinige elterliche Sorge für das Kind übertragen und den Antrag des Antragsgegners auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die gemeinsame elterliche Sorge der Beteiligten aufzuheben und auf die Antragstellerin zu übertragen gewesen sei, da dies dem Wohl des Kindes am besten entsprochen habe. Nach einer Vielzahl der von den Beteiligten geführten familiengerichtlichen Verfahren sei davon auszugehen, dass zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner keinerlei Konsensmöglichkeit bestehe. Der Antragsgegner sei nicht in der Lage gewesen, eine angemessene Umgangsregelung mit dem Kind einzuhalten, als dieses noch mit der Antragstellerin in N gelebt habe. Vielmehr habe sich der Antragsgegner seinerzeit der Beratung durch das Jugendamt der Stadt N völlig unzugänglich gezeigt, dies überdies zu Zeiten, als die Beteiligten noch am gleichen Ort gewohnt hätten und jedenfalls mit Hilfe des Jugendamtes keine zufriedenstellenden Lösungen für das Kind hätten gefunden werden können. Die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Antragstellerin entspreche dem Wohl des Kindes am besten. Angesichts der Entwicklung der Kinder V2, V und B seien durchaus noch Defizite in der Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin erkennbar. Überdies neige diese dazu, sowohl ihre Wohnung verwahrlosen zu lassen als auch ihre Kinder nicht angemessen zu versorgen. Dem werde derzeit durch die sozialpädagogische Familienhilfe und den Kindergartenbesuch des Kindes entgegengewirkt. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Antragsgegner besser als die Antragstellerin zur Erziehung und Versorgung des Kindes in der Lage sei. Dagegen spreche schon, dass der Antragsgegner im Zuge der Streitigkeiten mit der Antragstellerin keinerlei Rücksicht auf die Bedürfnisse des Kindes genommen habe. Auch sei er bei der Gestaltung der Umgangskontakte nicht in der Lage gewesen, nachzuvollziehen, wie wichtig ein strukturierter Tagesablauf für das Kind sei; mehrfache Gespräche des Jugendamtes mit dem Antragsgegner seien erfolglos geblieben, so dass weiter zu befürchten sei, dass auch eine sinnvolle Zusammenarbeit mit einer zweifellos notwendigen sozialpädagogischen Familienhilfe im Haushalt des Antragsgegners scheitern werde. Nicht zuletzt sprächen die von der Sachverständigen in dem Verfahren vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Marl, 26 F 124/02, getroffenen Feststellungen gegen die Erziehungsfähigkeit Antragsgegners. Demgegenüber arbeite die Antragstellerin derzeit erfolgreich mit der bei ihr eingesetzten sozialpädagogischen Familienhilfe zusammen. Überdies lägen jedenfalls derzeit keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vor. Damit sei auch keine anderweitige Regelung der elterlichen Sorge im Sinne des § 1671 Abs. 3 BGB veranlasst.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde. Er rügt, das Amtsgericht habe verkannt, dass unstreitig Streitigkeiten zwischen ihm und der Antragstellerin bestünden; indes sei die Ursache nicht ermittelt worden, was aber zwingend durch ein Sachverständigengutachten hätte erfolgen müssen. Das Amtsgericht habe sich insoweit eine eigene Sachkunde angemaßt, die es aber nicht habe. Dabei habe es unzutreffenderweise zu seinen Lasten unterstellt, dass eventuell bestehende Kommunikationsdefizite ausschließlich und allein auf seine Persönlichkeitsstruktur und sein Verhalten zurückzuführen seien. Auch die Feststellung, er sei nicht besser als die Antragstellerin erziehungsgeeignet, sei nicht durch ein Sachverständigengutachten geklärt worden. Soweit das Amtsgericht Ausführungen dazu mache, dass er keinerlei Rücksicht auf die Bedürfnisse des Kindes nehme, fehle es an einer Begründung für diese Annahme. Dass er nach dem Umzug der Antragstellerin keine Umgangskontakte gehabt habe, habe seine Ursache darin gehabt, dass er schlicht nicht über die finanziellen Mittel verfügt habe; er warte nach wie vor auf eine Kostenerstattung für einen Umgangskontakt aus Dezember 2012.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts abzuändern und ihm die elterliche Sorge für das minderjährige Kind K, geboren am 12.02.2010, zu übertragen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Verfahrensbeistand berichtet, eine gemeinsame Ausübung des Sorgerechts scheitere an der mangelnden Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft der beteiligten Kindeseltern; die Ausübung der elterlichen Sorge allein durch den Antragsgegner scheitere an dessen mangelnden Bemühungen um Kontakte zum Kind sowie dessen fehlender Feinfühligkeit für die Bedürfnisse und Interessen des Kindes. Letztendlich entspreche die Ausübung der alleinigen elterlichen Sorge durch die Antragstellerin dem Wohl des Kindes am besten. Die Antragstellerin nehme alle Angebote der Jugendhilfe in Anspruch und arbeite weiterhin mit der sozialpädagogischen Familienhilfe zusammen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des familienpsychologischen Gutachtens der Sachverständigen Dipl.-Psych. Y vom 10.6.2013 und durch Anhörung der Sachverständigen Dipl.-Psych. Y in der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2013. Der Senat hat die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2013 persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des familienpsychologischen Gutachtens der Sachverständigen Dipl.-Psych. Y vom 10.6.2013 und den das wesentliche Ergebnis der Anhörung der Sachverständigen zusammenfassenden Vermerk des Berichterstatters vom 09.07.2013 und wegen des Ergebnisses der Beteiligtenanhörung auf den das wesentliche Ergebnis der Beteiligtenanhörung zusammenfassenden Vermerk des Berichterstatters vom 09.07.2013 verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Zutreffend hat das Amtsgericht die elterliche Sorge nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf die Antragstellerin übertragen.
a)
Die Antragstellerin und der Antragsgegner hatten die gemeinsame Sorge inne. Eine Entscheidung über das Sorgerecht wurde bisher noch nicht getroffen. Soweit mit Beschluss vom 11.11.2010 – 36 F 386/10 – der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung des Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind übertragen wurde, ist beachtlich, dass mit dem angefochtenen Beschluss in der Hauptsache die einstweilige Anordnung außer Kraft trat; § 56 Abs. 1 Satz 1 FamFG.
Ein Antrag im Sinne des § 1671 Abs. 1 BGB seitens der Antragstellerin lag vor.
Die Antragstellerin und der Antragsgegner leben nicht nur vorübergehend getrennt. Der Begriff des Getrenntlebens ist in § 1567 BGB definiert. Die Trennung muss mithin vor allem dauerhaft sein. Erforderlich ist der erkennbare Wille mindestens eines Elternteils, die häusliche Gemeinschaft auf Dauer zu beenden. Dies ist vorliegend schon deswegen anzunehmen, weil die Trennung jedenfalls mit Auszug des Antragsgegners am 15.2.2011 erfolgte und überdies der Antragsgegner eine neue Lebensgefährtin hat.
b)
Der Antragstellerin war die elterliche Sorge gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB zu übertragen, da zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf die Antragstellerin dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.
aa)
Zuerst ist zu prüfen, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 12.12.2007 – XII ZB 158/05 – FamRZ 2008, 592). Wird diese Frage positiv beantwortet, schließt sich die Prüfung an, ob die Zuweisung des Sorgerechts gerade an die Antragstellerin dem Wohl des Kindes am besten entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 12.12.2007 – XII ZB 158/05 – FamRZ 2008, 592).
bb)
Zutreffend hat das Amtsgericht darauf verwiesen, dass die elterliche Sorge nur dann von beiden Eltern ausgeübt werden kann, wenn bei ihnen die Fähigkeit und Bereitschaft besteht, in Erziehungsfragen miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren (vgl. BGH, Beschluss vom 15.11.2007 – XII ZB 136/04 – FamRZ 2008, 251; Senat, Beschluss vom 31.01.2012 – 2 UF 168/11 – MDR 2012, 413; OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.03.2011 – 10 UF 2/11 – FamRZ 2011, 1662; KG, Beschluss vom 16.04.2011 – 13 UF 37/11 – FamRZ 2011, 1663; KG; Beschluss vom 21.09.1999 – 17 UF 4806/99 – FamRZ 2000 ,502; KG, Beschluss vom 25.09.1998 – 17 UF 5723/98 – FamRZ 1999, 616; OLG Dresden, Beschluss vom 03.08.1999 – 22 UF 121/99 – FamRZ 2000, 109; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.04.1999 – 6 UF 244/98 – FamRZ 1999, 1157; OLG Hamm, Beschluss vom 15.04.1999 – 1 UF 175/98 – FamRZ 1999,1159; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.12.198 – 18 UF 389/98 – FamRZ 1999,1596). Maßgeblich ist mithin, ob ein Mindestmaß an Kommunikation vorhanden ist, welches ein Funktionieren der elterlichen Sorge gewährleistet (vgl. BGH, Beschluss vom 11.05.2005 – XII ZB 33/04 – FamRZ 2005, 1167; OLG Hamburg, Beschluss vom 22.05.2008 – 10 UF 45/07 – OLGR Hamburg 2008, 516).
(1)
Es mag zwar grundsätzlich dem Wohl des Kindes entsprechen, wenn es in dem Bewusstsein lebt, dass beide Elternteile für es Verantwortung tragen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.03.2011 – 10 UF 2/11 – FamRZ 2011, 1662). Dies gilt jedenfalls dann, wenn zu beiden Elternteilen eine gute Beziehung besteht und sich beide um es kümmern und Kontakt mit ihm pflegen. Hieraus folgt, dass die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden dürfen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.03.2011 – 10 UF 2/11 – FamRZ 2011, 1662). Mithin ist nicht jede Spannung oder Streitigkeit zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner geeignet, das gemeinsame Sorgerecht ausschließen (vgl. Senat, Beschluss vom 31.01.2012 – 2 UF 168/11 – MDR 2012, 413).
(2)
Allein aus der normtechnischen Gestaltung von § 1671 BGB kann kein Regel-/Ausnahmeverhältnis zugunsten des Fortbestandes der gemeinsamen elterlichen Sorge hergeleitet werden. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist. Für die allgemein gehaltene Aussage, dass eine gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern dem Kindeswohl prinzipiell förderlicher sei als die Alleinsorge eines Elternteils, besteht in der kinderpsychologischen und familiensoziologischen Forschung auch weiterhin keine empirisch gesicherte Grundlage (vgl. BGH, Beschluss vom 12.12.2007 – XII ZB 158/05 – FamRZ 2008, 592). Vorzuziehen ist die Alleinsorge daher in Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht funktioniert, weil zwischen den Eltern keine Konsensmöglichkeit besteht und ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge fehlt.
(3)
Ein Mindestmaß an erforderlicher Kommunikationswilligkeit und –fähigkeit ist bei der Antragstellerin und dem Antragsgegner nicht vorhanden.
Beachtlich ist, dass die Antragstellerin nach § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB ohnehin in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens alleinentscheidungsbefugt ist und im Falle gemeinsamer Sorge auch bliebe. Einvernehmen müssen die Antragstellerin und der Antragsgegner mithin bei gemeinsamer elterlicher Sorge nur in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung herbeiführen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.12.2011 – 4 UF 257/11 – FamFR 2012, 310). Das sind solche Angelegenheiten, deren Entscheidung nur schwer oder gar nicht abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hat, also etwa Wahl des Kindergartens bzw. Schule, Schulwechsel, Wechsel in ein Heim/Internat, Religionsausübung, Berufswahl, medizinische Eingriffe, soweit sie mit der Gefahr erheblicher Komplikationen und Nebenwirkungen verbunden sind (vgl. KG, Beschluss vom 07.02.2011 – 16 UF 86/10 – FamRZ 2011, 1659).
(4)
Die mangelnde Kommunikationsfähigkeit bezieht sich vorliegend nicht nur auf die Umgangskontakte und deren Ausgestaltung, sondern gerade auf den Aufenthalt und weitere wesentliche Fragen der Erziehung.
Wie bereits die Durchführung des Umgangsverfahrens vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Marl, 36 F 164/11, zeigt, waren der Antragsgegner und die Antragstellerin, ungeachtet des Umstands, dass sie in diesem Verfahren eine Umgangsvereinbarung schlossen, nur mit gerichtlicher Hilfe in der Lage, das Umgangsrecht auszugestalten. Überdies erheben beide schwere Vorwürfe; insbesondere der seitens des Antragsgegners erhobene Vorwurf, die Antragstellerin enthalte ihm das Kind vor und mache Umgangskontakte – auch durch den Wegzug nach X – unmöglich, zeigt, dass gerade in Umgangsfragen kaum eine Verständigungsmöglichkeit besteht.
Aber auch außerhalb des Umgangsrechts besteht keine Kommunikationsbereitschaft. Das gegenseitige Verhalten der Antragstellerin und des Antragsgegners ist generell von Misstrauen und gegenseitigen Vorwürfen geprägt. Dies äußert sich beispielhaft an den Vorwürfen, die der Antragsgegner im Hinblick auf die anderen Kinder der Antragstellerin und ihr Verhältnis zu diesen erhebt. Er hat behauptet, die Antragstellerin sei erziehungsungeeignet, was sich beispielhaft daran zeige, dass sie nicht einmal mit ihren Kindern aus früherer Ehe erziehungsmäßig einigermaßen klar gekommen sei und was zur Folge gehabt habe, dass die Söhne V und V2 unter ADHS und gestörtem Sozialverhalten litten, in der Schule unbefriedigende Leistungen erzielten und der Sohn V überdies straffällig geworden sei. Aber auch die Antragstellerin wirft dem Antragsgegner vor, dass mit ihm keinerlei Einigung in Erziehungsfragen möglich sei und er seine Bedürfnisse über diejenigen des Kindes stelle.
Insgesamt ergibt sich damit, dass die Antragstellerin und der Antragsgegner sich gegenseitig misstrauen und Vorwürfe erheben. Auch außerhalb der Regelung des Umgangsrechts – wo sich die Antragstellerin und der Antragsgegner allein mit Hilfe des Gerichts zu einer Einigung durchringen konnten – ist nach dem bisherigen Sachstand die Kommunikationsbasis gestört und eine Konsensfindung erheblich erschwert.
Eine gemeinsame elterliche Sorge kommt mithin hier nicht in Betracht, weil das Verhältnis des Antragsgegners und der Antragstellerin nicht nur von einem tiefgreifenden Zerwürfnis und wechselseitigem Misstrauen geprägt ist, sondern weil sie auch offensichtlich nicht in der Lage sind, in den für das Kind erheblichen Erziehungsfragen Einvernehmen zu erzielen. So hat die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen, dass sie sich in Erziehungsfragen ohnehin nicht einigen können, was bereits zu Spannungen im Verhältnis des Antragsgegners zu ihren Kinder geführt habe; der Antragsgegner demgegenüber stellt die Erziehungseignung generell in Frage und wirft ihr sogar vor, es zur eigenen Obdachlosigkeit kommen zu lassen. Überdies hat auch die Sachverständige deutlich ausgeführt, dass die Fronten zwischen dem Antragsgegner und der Antragstellerin verhärtet seien und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dieses Verhältnis als „Feindschaftssituation“ gekennzeichnet.
(5)
Aufgrund dieser mangelnden Kooperationsbereitschaft ist zu erwarten, dass sich diese Konflikte fortsetzen und – wie teilweise schon geschehen – zum Nachteil des Kindes auswirken werden. Die Sachverständige hat diesbezüglich überzeugend ausgeführt, dass das Kind vor der Trennung aufgrund der Streitigkeiten des Antragsgegners und der Antragstellerin viel Negatives erlebt habe, was die gravierenden Entwicklungsverzögerungen mitbedingt habe. Mithin ist es erforderlich, eine entsprechende Sorgerechtsübertragung schon deswegen vorzunehmen, um das Konfliktpotential zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner zu begrenzen und damit das Kind zur seitens der Sachverständigen als erforderlich erachteten Stabilität und Ruhe kommen zu lassen, um die in allen Bereichen bestehenden Entwicklungsdefizite des Kindes aufarbeiten zu können.
(6)
Die Annahme, dem Antragsgegner und der Antragstellerin sei eine Konsensbereitschaft abzuverlangen (vgl. Senat, Beschluss vom 31.01.2012 – 2 UF 168/11 – MDR 2012, 413; OLG Hamm, Beschluss vom 22.06.2011, Az.: 10 UF 50/11 – FamRZ 2012, 560; KG Berlin, Beschluss vom 07.02.2011, Az: 16 UF 86/10, FamRZ 2011, 940; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 01.10.1998 – 5 UF 24/98 – FamRZ 1999, 40), findet vor dem Hintergrund der bisher geführten tiefgreifenden Auseinandersetzungen keine tragfähige Grundlage.
(7)
Die Entscheidung, der Antragstellerin die elterliche Sorge zu übertragen, entspricht dem Wohl des Kindes unter Berücksichtigung der bestehenden Bindungen am besten.
Bei der Kindeswohlprüfung sind neben den Bindungen des Kindes an die Eltern und etwaige Geschwister die Erziehungsbefähigung und Fördermöglichkeiten der Eltern, die Bindungstoleranz sowie der Kontinuitätsgrundsatz und der jeweilige Kindeswille wichtige Kriterien, welche nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander stehen, sondern im Einzelfall mehr oder minder bedeutsam für die letztlich dem Tatrichter obliegende Beurteilung sind (vgl. BGH, Beschluss vom 28.04.2010 – XII ZB 81/09 – FamRZ 2010, 1060; OLG Celle, Beschluss vom 19.07.2012). Überdies sind die durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Elternrechte beider Elternteile zu beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.06.2009, FF 2009, 416).
(a)
Der Gesichtspunkt der personalen Kontinuität legt eine Entscheidung zugunsten der Antragstellerin nahe. Das Kind lebt seit dem Auszug des Antragsgegners am 15.02.2011 bei ihr. Umgangskontakte mit dem Antragsgegner hat es seitdem nur sehr spärlich gegeben, so dass die Erinnerung des Kindes an den Antragsgegner allmählich verblasste. Seitens des Jugendamtes und der Sachverständigen ist überdies deutlich gemacht worden, dass ein weiterer Wechsel des Aufenthaltsortes schon deswegen untunlich ist, weil zum einen die bisher reibungslos funktionierenden Fördermaßnahmen am Aufenthaltsort des Antragsgegners erst installiert werden müssten, was nicht zeitnah möglich sei. Zum anderen würde dem Kind angesichts des bereits erfolgten Wechsels des Umfeldes durch einen erneuten Wechsel zum Antragsgegner eine erhöhte Anpassungsleistung abverlangt. Bei einem Verbleib in der Obhut der Antragstellerin veränderten sich keine Faktoren, während ein Wechsel in die Obhut des Antragsgegners gerade im Hinblick auf das soziale und räumliche Umfeld einen Kontinuitätsbruch darstellte. Insofern sei ein entsprechender erneuter Wechsel zu verhindern. Auch der Verfahrensbeistand hat sich insofern gegen einen Wechsel ausgesprochen.
(b)
Hinsichtlich der Förderungskompetenz, bei der die Frage im Mittelpunkt steht, von wem das Kind für den Aufbau seiner Persönlichkeit die meiste Unterstützung erwarten kann, ist nicht zwingend erkennbar, dass jedenfalls der Antragsgegner deutlich geeigneter wäre.
Er hat zwar einen Kindertagesstättenplatz für das Kind sicher; auch sind in seiner Wohnung adäquater Platz und weitere tatsächliche Betreuungsmöglichkeiten durch Familienangehörige vorhanden. Gleichwohl hat die Sachverständige aber klar und nachvollziehbar ausgeführt, dass der Antragsgegner keine Einsicht in den immensen Förderbedarf des Kindes habe und weder er noch die Angehörigen seiner Familie Fachkräfte seien, die auch im häuslichen Umfeld die erforderliche Förderung zu gewährleisten in der Lage seien. Demgegenüber habe die Antragstellerin, wenn auch gegebenenfalls unter dem Druck der installierten Familienhilfe und des Jugendamtes des Kreises Karlsruhe, die Einsicht in die Erforderlichkeit der Förderung gewonnen und sei damit in der Lage, eine nachhaltige Förderung des Kindes zu gewährleisten.
(c)
Das Kind verfügt überdies über eine feste Bindung an die Antragstellerin, aber kaum an den Antragsgegner. Ob dies auf einem schuldhaften oder schuldlosen Verhalten des Antragsgegners zurückzuführen ist, ist hier unbeachtlich, so dass der Grund für die unterlassene Durchführung der Umgangskontakte nicht näher zu beleuchten ist. Entscheidend ist allein, dass das Kind an ihn tatsächlich kaum Bindungen oder Erinnerungen hat. Denn es kommt nicht darauf an, wieso, sondern dass eine entsprechend stärkere Bindung zur Antragstellerin besteht.
Ein Wechsel des Kindes zum Antragsgegnerin würde nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen zu einem Bindungsabbruch im Verhältnis zur Antragstellerin und damit zu einer Traumatisierung des Kindes führen. Bereits deswegen scheidet ein Wechsel zum Antragsgegner aus. Überdies hat das Jugendamt des Landkreises Karlsruhe mit Bericht vom 23.2.2012 ausgeführt, dass die Beziehung des Kindes zu den älteren Kindern der Antragsgegnerin als positiv erlebt worden sei.
(d)
Auch die Bindungstoleranz der Eltern ist im Rahmen der Gesamtabwägung zu beachten. Hinsichtlich der Antragstellerin sind letztlich keine Bedenken angezeigt. Dass die Antragstellerin gerade mit dem Kind umgezogen ist, um Kontakt zum Antragsgegner zu verhindern, ist schon deswegen nicht festzustellen, weil sie ursprünglich in Karlsruhe gelebt hat und bereits aufgrund des Umstands, dass ihre anderen Kinder damit wieder in die Nähe des Kindesvaters gelangt sind, ein billigenswertes Motiv für den Umzug vorhanden ist. Beim Antragsgegner hat sich hingegen deutlich die Meinung verfestigt, dass die Antragstellerin schlecht für das Kind sei, was sich daran zeige, dass die Defizite des Kindes in der Zeit, in der es bei der Antragstellerin gelebt habe, nicht beseitigt worden seien und die Antragstellerin überdies auch mit der Erziehung ihrer älteren drei Kinder überfordert gewesen sei.
(e)
Soweit die Erziehungsfähigkeit des Antragsgegners und der Antragstellerin betroffen ist, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Erziehungseignung sowohl des Antragsgegners als auch der Antragstellerin zwar deutlich in Frage gestellt.
(aa)
Soweit der Antragsgegner betroffen ist, kann eine Beurteilung der Erziehungseignung nicht auf die Feststellungen der Sachverständigen Diplom-Psychologin Dr. U in ihrem Gutachten vom 25.11.2002 aus dem Verfahren 26 F 124/02 gestützt werden. Das Verfahren betraf schon nicht das Kind, sondern die anderen Kinder in einem zwischen dem Antragsgegner und der Kindesmutter geführten Verfahren. Die der Gutachtenerstellung zugrundeliegenden Umstände sind mit den vorliegenden kaum vergleichbar, so dass bereits fraglich ist, ob die dort getroffenen Feststellungen überhaupt auf den vorliegenden Fall Anwendung finden können. Das im Entscheidungszeitpunkt überdies fast zehn Jahre alte Gutachten lässt zudem nachträgliche Umstände und Entwicklungen unberücksichtigt. Auch wenn sich aus dem Inhalt des Gutachtens ergibt, dass jedenfalls seinerzeit der Antragsgegner entsprechende persönliche Defizite aufwies, so kann doch nicht sicher darauf geschlossen werden, dass es sich hierbei zwangsläufig um einen dauerhaften, nicht mehr änderbaren Zustand handelt.
Indes hat die Sachverständige Dipl.-Psych. Y nachvollziehbar und damit überzeugend festgestellt, dass dem Antragsgegner die erforderliche Einsichtsfähigkeit in den Förderbedarf des Kindes fehlt. Auch nach den Ausführungen des Jugendamtes der Stadt N in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist davon auszugehen, dass es dem Antragsgegner vorrangig um die Auseinandersetzung mit der Antragstellerin auf der Paarebene geht und nicht um das Kind oder das Zusammenleben mit diesem.
(bb)
Hinsichtlich der Antragsgegnerin sind ebenfalls deutliche Einschränkungen in ihrer Erziehungsfähigkeit vorhanden. Allerdings ist sie nach den Feststellungen der Sachverständigen gewillt, entsprechende, diese Einschränkungen ausgleichende Hilfen Dritter anzunehmen, weil bei ihr die Einsicht in den Förderbedarf des Kindes gegeben ist.
c)
Deswegen ist auch keine anderweitige Regelung der elterlichen Sorge im Sinne des § 1671 Abs. 3 BGB veranlasst.
Nach § 1671 Abs. 3 BGB ist dem Antrag der Antragstellerin auf Sorgerechtsübertragung nur dann nicht stattzugeben, soweit die elterliche Sorge aufgrund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss, was insbesondere wegen Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB der Fall sein kann. Eine solche Kindeswohlgefährdung ist aber nicht feststellbar.
aa)
Die Entziehung der elterlichen Sorge setzt gemäß § 1666 Abs. 1 BGB eine Kindeswohlgefährdung, also eine gegenwärtige, in solchem Maß vorhandene Gefahr voraus, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen, seelischen oder körperlichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.01.2010 – 1 BvR 374/09 – FamRZ 2010, 713), was im Wege einer Abwägung sämtlicher Umstände unter Berücksichtigung der Anlagen und des Verhaltens des Kindes festzustellen ist (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2008 – 9 UF 105/07 – FamRZ 2008, 1556). Der Eintritt eines Schadens ist nicht erforderlich. Es genügt eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefährdung des Kindeswohls (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18.12.2010 – 6 UF 96/09 – FamRZ 2010, 1746). Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der Herkunftsfamilie verbunden sind, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann, § 1666 a BGB. Bei der Auslegung des Begriffs des Kindeswohls ist jedoch, wie sich aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt, ein Vorrang des Erziehungsrechts der Eltern zu berücksichtigen, in das der Staat nur im Rahmen seines Wächteramtes und nur unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – insbesondere, wenn es um die Trennung des Kindes von seinen leiblichen Eltern geht – eingreifen darf. Vor diesem Hintergrund muss das elterliche Fehlverhalten oder Versagen gegenüber dem Kindeswohl feststehen oder jedenfalls eine gewisse Evidenz aufweisen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.10.2011 – II-8 UF 176/11).
Insbesondere gehört es nicht zur Ausübung des staatlichen Wächteramtes, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen. Bei der Auslegung des Begriffs des Kindeswohls ist nämlich zu berücksichtigen, dass gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG dem Erziehungsrecht der Eltern Vorrang zukommt. Das den Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistete Grundrecht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder dient in erster Linie dem Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der Elternverantwortung ist. Dabei gehört es nicht zum staatlichen Wächteramt gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, für eine den Fähigkeiten des jeweiligen Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen; vielmehr gehören die Eltern und deren gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes. Im Rahmen der §§ 1666, 1666 a BGB ist stets zu beachten, dass kein Kind Anspruch auf „Idealeltern“ und optimale Förderung der Erziehung hat und sich die staatlichen Eingriffe auf die Abwehr von Gefahren beschränkt. Keinesfalls kann es für eine Trennung der Kinder von den Eltern oder einem Elternteil ausreichen, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zur Erziehung und Förderung eventuell besser geeignet wären. Darüber hinaus ist bei der Prüfung einer Kindeswohlgefährdung i. S. der §§ 1666, 1666 a BGB auch zu berücksichtigen, dass Art. 8 EMRK das Recht auf Achtung des Familienlebens garantiert und Eingriffe des Staates nur unter engen Voraussetzungen zulässt. Dieses Gebot einer Achtung des Familienlebens führt dazu, dass der Staat bei Vornahme von Eingriffen grundsätzlich so handeln muss, dass eine Fortentwicklung in der familiären Erziehung erfolgen kann; er hat geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Eltern und die Kinder zusammenzulassen (vgl. EuGHMR, Urteil vom 26.02.2002 – 46544/99 – FamRZ 2002, 1393).
bb)
Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme lässt sich eine derartige Kindeswohlgefahr bei einem Verbleib bei der Antragsgegnerin trotz ihrer Erziehungsdefizite nicht feststellen.
(1)
Soweit die häuslichen Verhältnisse betroffen sind, ist zwar davon auszugehen, dass diese nicht optimal sind. Indes ist nicht erkennbar, inwiefern eine Gefahr für das Kindeswohl damit verbunden sein könnte. Eine Verwahrlosungsgefahr ist nicht feststellbar. Seit dem 17.2.2012 ist eine sozialpädagogische Familienhilfe durch das Jugendamt des Landkreises Karlsruhe eingerichtet. Nach dem Bericht des Jugendamtes des Landkreises Karlsruhe von 23.2.2012 sei von einer Kindeswohlgefährdung hinsichtlich des Kindes nicht auszugehen. Sowohl nach den Erfahrungen des Jugendamtes der Stadt N als auch denen des Landkreises Karlsruhe verlaufe die Zusammenarbeit mit der Antragstellerin gut. Dann aber ist nicht feststellbar, dass durch die beschriebenen Defizite eine Gefahr für das Kindeswohl droht, die allein durch einen Sorgerechtsentzug beseitigt werden könnten.
(2)
Dass ein Umzug der Antragsgegnerin nach Berlin und damit ein Herausreißen des Kindes aus seinem gewohnten Umfeld drohte, ist nicht erkennbar. Die Antragstellerin hat unwidersprochen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat behauptet, dass sich ihr Vorhaben, nach Berlin zu ziehen, ebenso wie die Beziehung zu ihrem Ex-Freund zerschlagen habe.
(3)
Soweit die Sachverständige in ihrem Gutachten festgestellt hat, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer unsicheren Lebensperspektiven und ihres bisherigen Verhaltens kaum geeignet erscheine, dem Kind ein ausreichend fürsorgliches, stabiles und förderliches Zuhause zu bieten, hat die Sachverständige nachvollziehbar und damit überzeugend in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 09.07.2013 ausgeführt, dass die Antragstellerin sich in ihrer Einstellung nachhaltig geändert habe, was sich daran ersehen lasse, dass sie über einen langen Zeitraum ihre Erziehungs- und Förderaufgabe ernst nehme und ausfülle, ohne sich dieser Verantwortung durch einen Umzug – etwa nach Berlin – zu entziehen. Überdies arbeite die Antragsgegnerin mit der installierten sozialpädagogischen Familienhilfe und dem Jugendamt des Kreises Karlsruhe zusammen. Damit aber sei sichergestellt, dass das Kind – welches einen extremen Förderbedarf habe – auch die erforderliche Förderung und die erforderliche Stabilität und Ruhe erhalte. Soweit die Sachverständige ursprünglich eine Übertragung jedenfalls des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Vormund angeregt hat, hat sie klargestellt, dass diese Empfehlung allein vor dem Hintergrund des drohenden Umzugs nach Berlin ausgesprochen worden sei. Da aber ein Umzug nicht mehr zu befürchten ist, hält die Sachverständige an dieser Empfehlung ausdrücklich nicht mehr fest. Damit aber ist bereits nach den Feststellungen der Sachverständigen für einen Sorgerechtsentzug nach § 1666 BGB kein Raum. Dann aber kommt eine anderweitige Regelung nach § 1671 Abs. 3 BGB nicht in Betracht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG und die über die Festsetzung des Verfahrenswertes auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1; 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind; § 70 Abs. 2 FamFG. Gegen diesen Beschluss ist infolgedessen kein Rechtsmittel statthaft.
Schreibe einen Kommentar