SG BREMEN, Beschluss vom 13.12.2013 – S 28 AS 2375/13 ER
Sozialgericht Bremen
Beschluss
In dem Rechtsstreit
1) M. I. C. S., Bremen,
2) M. E. S., Bremen, vertreten durch M. I. C. S., Bremen,
Antragsteller,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Beier & Beier,
Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen, Az.: – H/2013/126 –
gegen
Jobcenter Bremen, vertreten durch den Geschäftsführer,
Doventorsteinweg 48 – 52, 28195 Bremen, Az.:
Antragsgegner,
hat die 28. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 13. Dezember 2013 durch ihren Vorsitzenden, Richter M., beschlossen:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen ab dem 02.12.2013 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.05.2014, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (BGB II) in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Die Leistungen werden vorläufig erbracht und stehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen.
GRÜNDE
1. Der am 02.12,2013 gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), gerichtet auf die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhahs nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.
Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz, wenn im Einzelfall damit zu rechnen, dass ohne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache unzumutbare und irreparable Nachteile entstehen. Zweifel am Bestehen eines materiellen Leistungsanspruchs (Anordnungsanspruchs) führen in diesem Fall lediglich dann zu einer Antragsablehnung, wenn bereits im Anordnungsverfahren abschließend festgestellt werden kann, dass ein Anordnungsanspruch nicht besteht. Ist hingegen ein Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht bereits auszuschließen, weil insbesondere eine abschließende Sachaufklärung im Eilverfahren nicht möglich ist, bedarf es einer Folgenabwägung, in welche die Sozialgerichte die grundrechtlichen Belange des Antragstellers, namentlich die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines die Menschenwürde wahrenden Existenzminimums, umfassend einzustellen haben.
Vorliegen ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden, da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache ungewiss sind.
Die Antragstellerinnen erfüllen jedenfalls bei vorläufiger Prüfung die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Derzeit lässt sich aber nicht sicher beurteilen, ob die Antragstellerinnen als spanische Staatsangehörige nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ausgenommen sind. Nach dieser Norm, sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Nach vorläufiger Prüfung sind die Antragstellerinnen ausschließlich zum Zweck der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 2. Variante FreizügG/EU). Es lässt sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aber nicht hinreichend sicher feststellen, ob der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II überhaupt Anwendung findet. Es bestehen Zweifel, ob die Norm europarechtskonform ist, insbesondere ob sie mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV und dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 vereinbar ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.04.2012 — L 14 AS 763/12 B ER; Bayrisches LSG, Urteil vom 19.06.2013 — L 16 AS 847/12; ebenso wohl LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.11.2013 L 6 AS 130/13; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.11.2013 — L 15 AS 365/13 B ER). Eine höchstrichterliche Klärung dieser Fragen ist bislang nicht erfolgt. Das Bundessozialgericht hat das die Anwendbarkeit des Leistungsausschluss betreffende Verfahren B 4 AS 9/13 R ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt. Bis zu einer abschließenden Klärung der Europarechtskonformität des Ausschlusstatbestandes ist im Rahmen des einstwelligen Rechtsschutzes im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Die Folgenabwägung geht vorliegend zu Gunsten der Antragstellerinnen aus. Denn die Nachteile, die ihnen entstünden, wenn dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht stattgegeben werden würde, überwiegen die Nachteile, die der Gemeinschaft der Steuerzahler entstehen können, wenn Leistungen vorläufig an tatsächlich nicht anspruchsberechtigte Personen erbracht werden. im Falle der Ablehnung des Eilantrages drohen den Antragstellerinnen existenzielle Nachteile, da sie nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand nicht in der Lage sind, ihre Miete und ihren Lebensunterhalt auch nur vorübergehend aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Hinter diesen gravierenden Nachteilen tritt das auf der Seite des Antragsgegners zu berücksichtigende rein fiskalische Interesse zurück.
Den Antragstellerinnen sind damit im Eilverfahren vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab der Antragstellung bei Gericht zuzusprechen. Da vorliegend nur die rechtlichen Voraussetzungen der Leistungsgewährung im Streit stehen, erfolgt die Verpflichtung antragsgemäß in entsprechender Anwendung von § 130 SGG dem Grunde nach. In zeitlicher Hinsicht ist die Entscheidung bis zum vorrausichtlichen Ende des laufenden Bewilligungszeitraums (§ 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II) zu begrenzen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft. Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung beim Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Siehe auch den Beschluss des SG Dortmund vom 22.01.2014 – S 19 AS 5107/13 ER
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