OLG Köln · Beschluss vom 31. Juli 2012 · Az. II-4 UF 262/11

Tenor

Die Beschwerde des Kindesvaters (Antragsteller und Antragsgegner) gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Brühl vom 14.10.2011 – 32 F 294/10 – wird zurückgewiesen.

Hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten bleibt es bei der Kostenentscheidung des Amtsgerichts in dem Beschluss vom 14.10.2011.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.

Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht Brühl das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind T G auf die Kindesmutter übertragen. Der Senat nimmt Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teiles der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge bzw. eines Teilbereichs von dieser und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Maßstab für die Entscheidung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist stets das Kindeswohl. Gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung (Erziehungseignung) und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens (so BGH FamRZ 2011, 796-801; FamRZ 1990, 392, 393 mwN). Die einzelnen Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (FamRZ 1990, 392, 393 mwN; FamRZ 2010, 1060). Erforderlich ist eine alle Umstände des Einzelfalls abwägende Entscheidung. Hierbei sind alle von den Verfahrensbeteiligten vorgebrachten Gesichtspunkte in tatsächlicher Hinsicht soweit wie möglich aufzuklären und unter Kindeswohlgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfG FamRZ 2009, 1897; BGH FamRZ 2010, 1060).

Nach den überzeugenden Feststellungen des vom Senat eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Q, nach den Berichten des Jugendamts und des Verfahrensbeistands sowie dem Ergebnis der erstinstanzlichen persönlichen Anhörung der Beteiligten und des Kindes ist der Senat auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens überzeugt, dass eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für T auf die Kindesmutter dem Kindeswohl am besten entspricht (§ 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Q, denen sich der Senat anschließt, spricht bei gleicher Erziehungseignung der Eltern der Grundsatz der Kontinuität entscheidend dafür, dass T seinen Lebensmittelpunkt im Haus der Mutter in Alt-I. behalten soll. Der Sachverständige hat den Sachverhalt umfassend exploriert. Bedenken gegen seine fachliche Qualifikation als Diplompsychologe bestehen nicht. Aus den von ihm durchgeführten psychologischen Testverfahren und Untersuchungen ergibt sich, dass trotz der festgestellten derzeit etwas stärkeren Orientierung des Jungen zum Vater eine Beibehaltung des Lebensmittelpunktes bei der Mutter mit einem möglichst umfangreichen Umgangsrecht des Vaters dem Kindeswohl am besten entspricht.

T lebt seit seiner Geburt ununterbrochen im Haus der Kindesmutter in Alt-I.. Die Mutter betreut und versorgt T seit seiner Geburt. Die Eltern haben sich darauf verständigt, dass die Kindesmutter zur Betreuung von T im ersten Lebensjahr Erziehungszeit nimmt. Nach der Trennung der Eltern ist T im Haushalt der Mutter geblieben. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist T in allen Entwicklungsbereichen altersgerecht entwickelt. Schon dieser Entwicklungsstand spricht gegen die vom Kindesvater wiederholt erhobenen Vorwürfe gegen die Erziehungseignung der Kindesmutter. Es ist keinesfalls zu beanstanden, wenn die Kindesmutter an einem Abend ausgeht, soweit sie – wie dargetan – für eine angemessene Kinderbetreuung gesorgt hat. Auch der Umstand, dass zur Ausübung und ggf. Erweiterung der Berufstätigkeit eine geeignete Fremdbetreuung in Anspruch genommen wird, vermag keineswegs einen Wechsel des Kindes in den Haushalt des Vaters zu rechtfertigen. Der Sachverständige Prof. Dr. Q hat festgestellt, dass jedenfalls im Zeitpunkt der Begutachtung keinerlei Bedenken gegen die Erziehungsfähigkeit der Mutter bestehen. Nach Angaben der Erzieherinnen ist die hygienische Versorgung des Jungen nicht zu beanstanden. Die Kindesmutter habe insoweit hinzugelernt.

Neben der Bindung zur Mutter verfügt T in I über Kontakte, die er bei einem Wechsel in den Haushalt des Vaters verlieren müsste. T besucht 4 Tage pro Woche in I die Kindertagesstätte. Nach Aussagen der Erzieherinnen geht er sehr gerne in die Einrichtung. Er sei ein unproblematisches, sehr soziales Kind, freundlich, hilfsbereit und nicht aggressiv. Diese sozialen Kontakte müsste T bei einem Wechsel in den Haushalt des Vaters verlieren. Demgegenüber kann er die bestehenden familiären und freundschaftlichen Beziehungen am Wohnort des Vaters durch das regelmäßige umfangreiche Umgangsrecht wie bisher fortsetzen. Ohnehin bewertet der Senat es für die Entwicklung des Jungen positiv, dass er die Vorzüge einer ländlichen Umgebung am Wochenende beim Vater unbeschwert genießen kann. Die Vorteile des Aufwachsens eines Kindes in einer städtischen Umgebung, nämlich das größere Angebot an Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen sowie deren bessere Erreichbarkeit, gingen bei einem Wechsel des Wohnorts des Jungen verloren.

Die vom Sachverständigen festgestellte etwas stärkere Orientierung von T zum Vater rechtfertigt keine andere Entscheidung. T verfügt über sichere Bindungen zu beiden Eltern. Der Sachverständige hat nachvollziehbar dargetan, dass angesichts des Alters von T das Kriterium der Bindung/Orientierung nicht zu hoch zu gewichten sei, weil in der frühen Kindheit Orientierungen des Kindes eine schnelle Änderung erfahren könnten. Der Senat hat keine Veranlassung, die nachvollziehbar begründete Einschätzung des Sachverständigen, der dem Senat aus einer Vielzahl von Kindschaftsverfahren als fachlich kompetent und erfahren bekannt ist, in Zweifel zu ziehen. Jedenfalls wertet der Senat es als positiv, dass die Kindesmutter nicht versucht, die für das Wohl von T wichtige Bindung zum Vater zu beeinträchtigen.

Entsprechendes gilt für das umfangreiche Umgangsrecht des Vaters, das weit über das übliche Maß hinausgeht. Trotz des Elternkonflikts wird das Umgangsrecht an drei Wochenenden im Monat regelmäßig und weitgehend unproblematisch durchgeführt. T genießt die Umgangswochenenden beim Vater in E. Dies spricht eindeutig für die Bindungstoleranz der Kindesmutter. Angesichts der vom Kindesvater erhobenen Vorwürfe gegen die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter hat der Senat Zweifel, ob der Kindesvater im Falle eines Wechsels von T in seinem Haushalt der Kindesmutter ein entsprechend umfangreiches Umgangsrecht einräumen würde. Demgegenüber hat der Senat die berechtigte Hoffnung, dass die Eltern nach Abschluss dieses Verfahrens auch die Übergabe des Kindes nach Beendigung des Umgangswochenendes wieder allein am Kindeswohl orientieren. Beide Eltern sollten sich bewusst sein, dass für die Fortsetzung der sehr guten Entwicklung ihres Sohnes eine vertrauensvolle und am Kindeswohl orientierte Ausübung ihrer gemeinsamen Elternverantwortung unerlässlich ist. Nach Abschluss des Verfahrens sollten sie wieder versuchen, eine gemeinsame Basis zur Kommunikation zu finden und die Angriffe gegen die Person des jeweils anderen Elternteils unterlassen. T sollte unbeschwert die Vorteile seiner beiden, sehr unterschiedlichen „Zuhause“ genießen können.

Nach nochmaliger Abwägung aller Umstände ist der Senat überzeugt, dass eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für T auf die Kindesmutter und damit eine Beibehaltung der derzeitigen Verhältnisse dem Kindeswohl am besten entspricht.

Gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG hat der Senat von einer mündlichen Verhandlung abgesehen, nachdem erstinstanzlich mündlich verhandelt wurde und von einer Verhandlung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten waren. Nachdem T bei dem zuständigen, sehr erfahrenen Familienrichter im Rahmen seiner Anhörung keine das Verfahren förderlichen Angaben gemacht hat, hat der Senat nicht versucht, den Jungen nochmals anzuhören; zumal auch der Sachverständige trotz seiner umfangreichen Untersuchungen einen verbal erklärten Kindeswillen nicht feststellen konnte.

Es entspricht entgegen der Sollregelung in § 84 FamFG der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben. Die Entscheidung beruht auf einer umfassenden Abwägung aller Umstände, die erst nach dem Ergebnis der umfangreichen Ermittlungen getroffen werden konnte.

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