Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 30.10.2013 – Ws 183/13 (= 2 Ws 204/13 GenStA)

Hanseatisches Oberlandesgericht
in Bremen

Geschäftszeichen: Ws 183/13 (= 2 Ws 204/13 GenStA)

BESCHLUSS

in dem Klagerzwingungsverfahren


– Antragsteller –

Verfahrensbevollm.: Rechtsanwalt Heino Beier, Bremen

gegen


– Beschuldigter –

hat der 1. Strafsenat durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. H., die Richterin am Oberlandesgericht W. und den Richter am Landgericht K.
am 06. Dezember 2013 beschlossen:

Der Antrag des Antragstellers vom 30.10.2013 auf gerichtliche Entscheidung gegen den Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Bremen vom 04.10.2013 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe:

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30.10.2013 gegen den Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Bremen vom 04.10.2013 ist zulässig.

Der Antragsteller ist Verletzter im Sinne des § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO. Obwohl die Rechtspflegedelikte (§§ 153 ff. StPO) in erster Linie das Rechtgut der Rechtspflege schützen, ist allgemein anerkannt, dass grundsätzlich die durch diese Straftaten beeinträchtigten Verfahrensbeteiligten als Verletzte iSd §§ 171, 172 StPO anzusehen sind (LR-Graalmann-Scheerer, StPO , 26. Aufl., § 172 Rn. 71 m.w.N.). Der Antragsteller ist auch antragsbefugt, weil er einen Antrag auf Strafverfolgung im Sinne des § 171 StPO wegen der Tat gestellt hat, die Gegenstand des Klageerzwingungsantrags ist. Durch die gestellte Strafanzeige nebst Begleitschreiben vom 02.05.2013 hat er eindeutig zu erkennen gegeben, dass er im Falle der Begründetheit seines Verdachts die Strafverfolgung wünscht (vgl. LR-Graalmann¬Scheerer, aaO, § 171 Rn. 2, 172 Rn. 47 m.w.N.). Durch seine Anzeige war der in Betracht kommende Beschuldigte eindeutig bestimmt. Das erforderliche Verfahren der Vorschaltbeschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO hat der Antragsteller auch in zulässiger Weise und erfolglos betrieben. Schließlich erfüllt der Antrag die Darlegungsanforderungen aus § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO.

Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 StPO ist gemäß § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, dass in ihm die Tatsachen, die die Erhebung der öffentlichen Klage in formeller und materieller Hinsicht rechtfertigen sollen, sowie die Beweismittel angegeben sind.

Die Antragsschrift muss in einer in sich geschlossenen und verständlichen Darstellung den Sachverhalt wiedergeben, den der Antragsteller für gegeben hält. Der Schilderung der Tat im historischen Sinn müssen die subjektiven und objektiven Tatbestandsmerkmale der in Betracht kommenden Straftatbestände, wie sie sich aus der Sicht des Antragstellers darstellen, zu entnehmen sein. Dieser Sachverhalt muss bei Unterstellung eines hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigen (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Beschluss vom 08.11.2013, Az: Ws 139/13; Meyer-Goßner, 56. Aufl., StPO, § 172 Rn. 27a; KK-StPO/Schmid, 6. Aufl., 2008, § 172 Rn. 34 ff.; LR-Graalmann-Scheerer, aaO, § 172 Rn. 145 ff.). Die Antragsschrift muss es dem Oberlandesgericht ermöglichen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten und andere Akten eine „Schlüssigkeitsprüfung“ vorzunehmen (vgl. KK-StPO/Schmid, aaO). Anlagen zur Antragsschrift, die eine klare Sachverhaltsdarstellung beinhalten, dürfen zwar ergänzend verwendet werden. Eine Bezugnahme ist jedoch dann nicht zulässig, wenn erst durch Kenntnisnahme vom Inhalt der in Bezug genommenen Anlagen oder sonstigen Schriftstücke die erforderliche geschlossene Sachverhaltsdarstellung erreicht wird (vgl. KK-StPO/Schmid, aaO, Rn. 37 m.w.N.). Für das behauptete Vorliegen der Tatbestandsmerkmale müssen die Beweismittel angegeben werden. Überdies müssen die Verfolgbarkeit der Tat und die Antragsberechtigung des Antragstellers dargetan werden, soweit die Umstände nicht auf der Hand liegen.

Das Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 StPO dient nach einhelliger obergerichtlicher Meinung der richterlichen Kontrolle, ob die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens das Legalitätsprinzip und ihre sich aus diesem ergebende Verfolgungspflicht verletzt hat (Hans. OLG Bremen, aaO). Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 StPO muss infolgedessen auch den Inhalt der angefochtenen Entscheidung und die Erwägungen über die angebliche Fehlerhaftigkeit der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft und/oder der Beschwerdebescheidung der Generalstaatsanwaltschaft enthalten (Hans. OLG Bremen, aaO). Nur wenn sich der Antrag damit auseinandersetzt, aus welchem Grund der Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft angegriffen wird, kann er die nach Vorstellung des Antragstellers erfolgte Verletzung des Legalitätsprinzips durch die Staatsanwaltschaft aufzeigen.

Diesen Voraussetzungen für einen Antrag im Klageerzwingungsverfahren wird die Antragsschrift vom 30.10.2013 gerecht.

2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Es besteht kein genügender Anlass zur Erhebung öffentlicher Klage gegen den Beschuldigten (§ 174 Abs. 1 StPO).

Genügender Anlass im Sinne des § 174 StPO setzt hinreichenden Tatverdacht im Sinne der §§ 170 Abs. 1, 203 StPO und damit die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung voraus (Meyer-Goßner, aaO, § 174 Rn. 2; LR-Graalmann-Scheerer, aaO, § 174 Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 28.04.2011, Az.: 1 Ws 135/11, Rz. 4 zit. n. juris m.w.N.). Der unbestimmte Rechtsbegriff des „hinreichenden Tatverdachts“ eröffnet im Rahmen der Entscheidung nach § 174 StPO dabei einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum, zumal es sich hierbei um eine Prognoseentscheidung handelt (vgl. OLG Hamm, aaO m.w.N; Meyer-Goßner, aaO, § 170 Rn. 1). Maßgeblicher Zeitpunkt ist derjenige der Entscheidung des Oberlandesgerichts (vgl. OLG Hamm, aaO m.w.N.).

a) Die bisherigen Ermittlungen lassen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erwarten, dass der Beschuldigte am Ende einer Hauptverhandlung wegen des Vergehens der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) verurteilt würde.

Nach den Ermittlungen ist der Beschuldigte nicht hinreichend verdächtig, einen Anderen wider besseres Wissen falsch verdächtigt zu haben (§ 164 StGB).

Der Straftatbestand der falschen Verdächtigung iSd § 164 StGB setzt im Hinblick auf beide Tatbestandsalternativen der Abs. 1 und Abs. 2 voraus, dass der Täter wider besseres Wissen hinsichtlich der Verdachtstatsachen und bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt hat (MüKo-StGB/Zopfs, 2. Aufl., § 164 Rn. 40; SK-StGB/Rudolphi/Rogall, 58. Lfg., § 164 Rn. 40/41; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 164 Rn. 12; Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, StGB, 28. Aufl., § 164 Rn. 30/31; LK-StGB/Ruß, 12. Aufl., § 164 Rn. 28). Der für eine Verurteilung erforderliche Nachweis, dass der Beschuldigte wider besseres Wissen gehandelt hat, ist voraussichtlich nicht zu führen. Wider besseres Wissen handelt, wer im Zeitpunkt der Verdächtigung sicher weiß, dass die Beschuldigung unwahr ist (Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, aaO, Rn. 30; SK¬Rudolphi/Rogall, aaO, Rn. 40). Der Täter muss sicher wissen, dass seine tatsächlichen Angaben unwahr sind bzw. die geschaffene Beweislage unrichtig ist (Schönke/Schröder/Rudolphi/Rogall, aaO; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.05.1996, Az.: 1 Ss 120/95, Rz. 16 zit. n. juris; MüKo-StGB/Zopfs, aaO, Rn. 41; Beck’scher Online Kommentar zum StGB/von Heintschel-Heinegg, Edition 23, § 164 Rn. 20; LK-StGB/Ruß, aaO, Rn. 29).

Im vorliegenden Fall wäre ein Handeln wider besseres Wissen anzunehmen, wenn nachzuweisen wäre, dass der Beschuldigte am Unfalltag zum maßgeblichen Zeitpunkt in keine Kollision verwickelt war und er sich bewusst den Antragsteller herausgesucht hätte, um ihn für die vermeintlichen Unfallschäden verantwortlich zu machen. Dieser Nachweis wird voraussichtlich nicht zu führen sein. Der tatsächliche Aufwand, den der Beschuldigte in dem Ermittlungsverfahren mit den geschilderten Nachermittlungen betrieben hat, spricht als Indiz gegen diese Annahme. Wenn er sich den Antragsteller bewusst ausgeguckt hätte, hätte er es sich im Ermittlungsverfahren erheblich einfacher machen können, um den Verdacht auf diesen zu lenken. Er hätte sich jedenfalls nicht die gesteigerte Mühe durch die von ihm am Folgetag der Anzeige beschriebenen Nachermittlungen und ergänzenden Angaben machen müssen. Die bei der Anzeige am 09.07.2012 durch den Beschuldigten geschilderten Detailangaben, wie z.B. den fast minutengenauen Zeitpunkt, die Anzahl der Insassen und die Angabe zu dem äußeren Erscheinungsbild des Antragstellers, sind mit dem vorstehenden Motivansatz nicht in Einklang zu bringen. Derjenige, der einen ihm persönlich nicht bekannten Dritten bewusst zu Unrecht beschuldigt, wird sich in der Regel dar über, im Klaren sein, dass gerade Detailangaben widerlegbar sind. Gegen die Annahme, dass der Beschuldigte von der Unrichtigkeit seiner Angaben überzeugt war, spricht auch sein Aussageverhalten im gesamten Ermittlungs- und Strafverfahren gegen den Antragsteller. Der Beschuldigte ist bei einer stringenten Schilderung des Geschehens geblieben und hat seine Angaben auch nicht vor dem Hintergrund der Ausführungen des Sachverständigen X „angepasst“. Fest steht, dass die Beschädigungen an dem Kfz des Beschuldigten, bis auf Kratzer an der Fahrertür, solche Schäden sind, die bei einer Streifkollision entstanden sein könnten. Der Beschuldigte hatte in der Sitzung vor dem Amtsgericht vom 15.01.2012 angeben, dass alles sehr schnell gegangen sei und ihm das Fahrzeug des Antragstellers bereits vor dem behaupteten Kollisionsgeschehen bei einem Überholvorgang aufgefallen sei. Damit ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass der Beschuldigte im maßgeblichen Zeitrahmen am 09.07.2012 in einen Unfall verwickelt gewesen war und es aufgrund der Hektik des Unfallgeschehens, erfahrungsgemäß für Unfallbeteiligte eine besondere Stresssituation, zu einer Verwechslung der Fahrzeuge im dichten Berufsverkehr gekommen ist. Die aus der Ermittlungsakte ersichtlichen Angaben des Beschuldigten am Anzeigetag und seine umfangreichen Ergänzungen am Folgetag lassen den Schluss darauf zu, dass er von dem von ihm geschilderten Geschehen überzeugt war. Dieser Umstand steht jedenfalls dem Schluss entgegen, der Beschuldigte hätte die erforderliche Kenntnis von der Unrichtigkeit seiner tatsächlichen Angaben gehabt.

b) Die bisherigen Ermittlungsergebnisses lassen es ebenfalls nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erwarten, dass der Beschuldigte am Schluss einer Hauptverhandlung wegen des Vergehens eines versuchten Betruges (§§ 263, 22, 23 StGB) verurteilt würde.

Weder der Antragsschrift noch dem gesamten Ermittlungsverfahren ist ein Sachverhalt zu entnehmen, der die Verwirklichung des behaupteten Delikts des versuchten Betruges greifbar machen würde. Durch welche tatsächlichen Handlungen bzw. welches Verhalten dieser Tatbestand erfüllt sein soll, ist nicht ersichtlich. Es ist schon nicht zu erkennen, bei wem der Beschuldigte durch eine tatbestandsmäßige Täuschung einen Irrtum erregt oder unterhalten haben soll, um sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.

3. Anlass zu weiteren Ermittlungen sieht der Senat vor dem Hintergrund des vorliegenden Ermittlungsergebnisses und der bereits geführten Ermittlungen nicht, so dass auch dem Hilfsantrag nicht zu entsprechen war.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 177 StPO.

gez. Dr. H.
gez. W.
gez. K.gez. Dr. H. gez. W. gez. K.

Schreibe einen Kommentar