SG Bremen, Beschluss vom 28.02.2017 – S 6 AS 226/17 ER

Sozialgericht Bremen
Beschluss

In dem Rechtsstreit

H. I. S., Bremen,
Antragsteller,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Beier & Beier, Gröpelinger Heerstraße 387, 28239 Bremen, Az.: – F/2017/002 (EA2)

gegen

Jobcenter Bremen, vertreten durch den Geschäftsführer, Doventorsteinweg 48 – 52, 28195 Bremen, Az :
Antragsgegner,

hat die 6. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 28. Februar 2017 durch ihren Vorsitzenden, Richter L., beschlossen:

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 14.02.2017 gegen den Eingliederungsverwaltungsakt des Antragsgegners vom 03.01.2017 wird angeordnet.

II. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

GRÜNDE

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen einen vom Antragsgegner erlassenen Eingliederungsverwaltungsakt erhobenen Klage.

Der am 12.06.1970 geborene Antragsteller steht beim Antragsgegner im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Mit Bescheid vom 24.10.2016 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für den Zeitraum 01.11.2016 bis 31.10.2017 Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von monatlich 404,00 € (Bl. 192 der Verwaltungsakte).

Mit Schreiben vom 04.11.2016 lud der Antragsgegner den Antragsteller zu einem Gespräch über dessen berufliche Situation am 08.12.2016 um 9:00 Uhr ein (Bl. 203 der Verwaltungsakte). In dem Einladungsschreiben war der Hinweis enthalten, dass der Antragsteller, sofern dieser am 08.12.2016 arbeitsunfähig erkrankt sein sollte, eine zusätzliche ärztliche Bescheinigung vorzulegen habe, wonach ein Erscheinen aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei.

Mit Datum vom 26.11.2016 erließ der Antragsgegner einen Änderungsbescheid und bewilligte für den Zeitraum 01.01.2017 bis 31,10.2017 nunmehr monatliche Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 409,00 €.

Der Antragsteller übersandte dem Antragsgegner am 08.12.2016 eine von seinem Orthopäden Unterzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ausweislich derer am 07.12.2016 eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 10.12.2016 festgestellt worden sei (Bl. 200 der Verwaltungsakte).

Der Antragsgegner ersetzte daraufhin mit Datum vom 03.01.2017 die Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt. Eine Eingliederungsvereinbarung sei zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner nicht zu Stande gekommen, so dass nunmehr ein Verwaltungsakt erlassen werde. Die Festlegungen des Eingliederungsverwaltungsaktes würden für den Zeitraum 03.01,2017 bis 31.12,2017 gelten, soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt werde.

Der Antragsteller legte mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 13.01.2017 Widerspruch gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.01.2017 ein. Dieser sei bereits deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil entgegen der gesetzlichen Vorgabe und ohne Ausübung von Ermessen die sechsmonatige Regellaufzeit auf 12 Monate verlängert worden sei.

Der Antragsteller hat durch seinen Prozessbevollmächtigten am 31.01.2017 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung beim Sozialgericht Bremen gestellt.

Er bleibe dabei, dass die Gültigkeitsdauer des Eingliederungsverwaltungsaktes von mehr als 6 Monaten ermessensfehlerhaft sei.

Darüber hinaus hätten vor Erlass des Eingliederungsverwaltungsaktes keine Verhandlungen über den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung stattgefunden. Der Eingliederungsverwaltungsakt berücksichtige zudem nicht die individuelle Situation des Antragstellers. Insbesondere sei keine vorherige Potenzialanalyse durchgeführt worden.

Der Antragsteller hat zunächst beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 13.01.2017 gegen den Eingliederungsverwaltungsakt des Antragsgegners vom 03.01.2017 anzuordnen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2017 wies der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 13.01.2017 als unbegründet zurück.

Der Antragsteller hat durch seinen Prozessbevollmächtigten am 14.02,2017 unter dem Az. S 6 AS 346/17 Anfechtungsklage beim Sozialgericht Bremen erhoben.

Der Antragsteller beantragt nunmehr sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung der Klage vom 14.02.2017 gegen den Eingliederungsverwaltungsakt des Antragsgegners vom 03.01.2017 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes vom 03.01.2017. Eine Rechtswidrigkeit ergebe sich insbesondere nicht daraus, dass der Eingliederungsverwaltungsakt für einen längeren Gültigkeitszeitraum als 6 Monate erlassen worden sei. Seit der Neufassung des § 15 SGB II zum 01.08.2016 könne die Gültigkeitsdauer eines Eingliederungsverwaltungsaktes über einen Zeitraum von 6 Monaten hinaus festgelegt werden. Auch der Erlass des Eingliederungsverwaltungsaktes ohne vorherige Verhandlungen begegne keinen Bedenken. Der Antragsteller sei zu diversen Terminen eingeladen worden. Alle Termine habe dieser nicht wahrgenommen. Es seien jeweils Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage ist statthaft und auch im übrigen zulässig.

Da bei einer Ersetzung der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt gemäß § 15 Abs. 3 S. 3 SGB II in der Hauptsache die reine Anfechtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 Alt. 1 die statthafte Klageart ist, kann insoweit im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nur im Rahmen des § 86b Abs. 1 SGG vorgegangen werden (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl. 2014, § 86b SGG, Rn. 24).

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist auch erforderlich, da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Eingliederungsverwaitungsakt gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung haben (vgl. Greiser in Eicher, 3. Aufl. 2013, § 39 SGB il, Rn. 21 f., m. w. N.).

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 14.02.2017 ist auch begründet.

Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat dann zu erfolgen, wenn der zugrundeliegende Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist. In diesen Fällen ist ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehbarkeit generell nicht gegeben.

Erweist sich der Verwaltungsakt jedoch, nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig, hat eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu unterbleiben.

Sind die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung dagegen nicht hinreichend sicher abschätzbar, muss eine allgemeine Interessenabwägung erfolgen. Hierfür gilt, dass je großer die Erfolgsaussichten sind, umso geringere Anforderungen an das Aussetzungsinteresse zu stellen sind. Auszuschließen sind zudem schwere und unzumutbare Nachteile für den Betroffenen. Bei der Interessenabwägung ist auch das vom Gesetzgeber vorgesehene Regel-/Ausnahmeverhältnis für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung zu beachten (im Einzelnen vgl. Wahrendorf in Roos/Wahrendorf, 1, Aufl, 2014, § 86b SGG, Rn. 63 ff-, Rn. 104 f,; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl. 2014, § 86b SGG, Rn. 12 ff., jeweils m. w. N.).

Nach summarischer Prüfung erweist sich der Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.01,2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom. 08.02.2017 als offenbar rechtswidrig, so dass die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller am 14.02.2017 vor dem Sozialgericht Bremen erhobenen Klage anzuordnen war. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt insoweit das Vollzugsinteresse des Antragsgegners.

Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Eingliederungsverwaltungsaktes folgt nicht bereits aus dessen Gültigkeitsdauer von rund einem Jahr, weil nach der Neufassung des § 15 SGB II zum 01.08.2016 der Gesetzeswortlaut nicht mehr von einer Regelgültigkeitsdauer von 6 Monaten ausgeht, bei deren überschreiten Ermessenserwägungen anzustellen sind.

Nach § 15 Abs. 1 S, 3 und 4 SGB II in der bis zum 31.07,2016 geltenden Fassung sollte die Eingliederungsvereinbarung für 6 Monate geschlossen werden. Danach sollte eine neue Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden.

In § 15 Abs. 3 S. 1 SGB II in der ab dem 01.08.2016 geltenden Fassung heißt es nunmehr wie folgt: „Die Eingliederungsvereinbarung soll regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von 6 Monaten gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden.

Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des § 15 SGB II zum 01.08.2016 somit die Regelgültigkeitszeitraum der Eingliederungsvereinbarung von 6 Monaten, der im Zusammenhang mit dem ehemaligen Regelbewilligungszeitraum von 6 Monaten stand abgeschafft (vgl. Beck. OK SozR/Harich,§ 15 SGB II, Rn. 30), Nach der nunmehr geltenden Fassung des § 15 SGB II kann der Träger der Leistungen nach dem SGB II Eingliederungsvereinbarungen auch für längere Zeiträume als 6 Monate abschließen und entsprechende Eingliederungsverwaltungsakte erlassen, sofern diese spätestens nach Ablauf von 6 Monaten gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden. Der hier streitgegenständliche Eingliederungsverwaltungsakt ist insoweit nicht zu beanstanden, da er einen Hinweis auf die zwischenzeitliche Abänderungsmöglichkeit enthielt. Ermessenserwägungen des Antragsgegners waren insoweit entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers nicht erforderlich.

Der Antragsgegner ist aber nicht berechtigt gewesen, einen Eingliederungsverwaltungsakt nach § 15 SGB II zu erlassen, da es am Erfordernis ausreichender Verhandlungen über den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung gefehlt hat.

Gemäß § 15 Abs. 3 S. 3. SGB II in der seit dem 01.08.2016 geltenden Fassung sollen, soweit eine Regelung nach Abs. 2 nicht zu Stande kommt, die Regelungen durch Verwaltungsakt getroffen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu der insoweit gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II handelt es sich hierbei um eine auf atypische Konstellationen beschränkte, subsidiäre und im gebundenen Ermessen der Verwaltung stehende Handlungsmöglichkeit des Antragsgegners. Der Gesetzeswortlaut lege für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit einen Vorrang der konsensoralen Lösung gegenüber dem hoheitlichen Handeln durch Verwaltungsakt nahe. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des § 15 Abs. 1 SGB II sprächen nach allem eher dafür, dass ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt nur in Betracht komme, wenn der Grundsicherungsträger zuvor den Versuch unternommen habe, mit dem Arbeitsuchenden eine Vereinbarung zu schließen oder im Einzelfall besondere Gründe vorlägen, die den Abschluss einer Vereinbarung als nicht sachgerecht erscheinen lassen, was im ersetzenden Verwaltungsakt im Einzelnen darzulegen wäre (vgl. BSG, Urt. v. 14.02.2013, B 14 AS 195/11 R, juris, Rn, 17 ff,).

Demzufolge ist der Erlass eines Eingliederungsverwaltungsakts grundsätzlich erst nach Ablehnung des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung durch den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zulässig. Ein Eingliederungsverwaltungsakt i. S. v. § 15 SGB II kann also nur dann ergehen, wenn nach einer hinreichenden Verhandlungsphase keine Einigung über den Abschluss oder den Inhalt einer Eingliederungsvereinbarung zu Stande gekommen ist, wobei der Grund für das Scheitern der Vertragsverhandlungen unerheblich ist (vgl. Beriit in LPK-SGB II, 5 Aufl. 2013, § 15 SGB II, Rn. 43; Kader in Eicher, 3 Auflage 2013, §15SGB11, Rn. 63).

Im hier streitgegenständlichen Fall haben zwischen den Beteiligten keine ausreichenden Verhandlungen über den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung stattgefunden, so dass der Antragsgegner diese nicht durch Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes ersetzen durfte. Soweit der Antragsgegner sich darauf bezieht, dass der Antragsteller am 08.12.2016 der Meldeaufforderung nicht gefolgt sei ist darauf hinzuweisen, dass diese keinen Hinweis auf die geplanten Verhandlungen über einen Eingliederungsverwaltungsakt enthalten hat. Die vom Antragsgegner aufgestellte Behauptung, der Antragsteller habe zuvor bereits diverse weitere Termin nicht wahrgenommen, lässt sich anhand der Verwaltungsakte nicht nachprüfen. Unabhängig davon hatte der Antragsgegner jedenfalls dem Antragsteller einen Entwurf der mit ihm abzuschließenden Eingliederungsvereinbarung übersenden können, verbunden mit der Aufforderung, sich hierzu zu äußern. Sofern der Antragsteller dieser Aufforderung nicht nachgekommen wäre oder sich geweigert hätte, die Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen, ohne entsprechende Änderungsvorschläge zu unterbreiten, hätte von einem Scheitern der Verhandlungen ausgegangen werden können, so dass der Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes möglich gewesen wäre. Das bloße Nichterscheinen zum Termin am 08.12.2016 reicht jedenfalls nach Auffassung des Gerichts nicht dazu aus, von einem Scheitern der Verhandlungen auszugehen, zumal zwischen den Beteiligten streitig ist, ob dem Antragsteller für das Versäumen des Termins am 08.12.2016 ein wichtiger Grund in Form der Wegeunfähigkeit zur Seite steht.

Da im streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakt vom 03.01.2017 auch keine besonderen Umstände des Einzelfalles dargelegt worden sind, die eine Ersetzung der Eingliederungsvereinbarung ohne vorherige Verhandlungen erforderlich erscheinen lassen, erweist sich diese insgesamt als rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft. Sie ist binnen eines Monate nach Zustellung beim Sozialgericht Bremen. Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Bremen vom 18.12.2006 (Brem. GBL S. 548) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder in elektronischer Form nach Maßgabe der Niedersächsischen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz vom 21,10,2011 (Nds. GVBI. S. 367) in der jeweils aktuellen Fassung oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

gez. L.

Richter

Schreibe einen Kommentar