OLG Bremen, 27.09.2011 – 4 WF 103/11

Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen
Geschäftszeichen: 4 WF 103/11 = 69 F 2929/10 Amtsgericht Bremen

B e s c h l u s s
In der Familiensache

[…]

hat der 4. Zivilsenat – Senat für Familiensachen – des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Wever, die Richterin am Oberlandesgericht Abramjuk und den Richter am Amtsgericht Frank am 27.09.2011 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gegen den Streitwertbeschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Bremen vom 14.04.2011 wird zurückgewiesen.

Gründe:
I.

Das Amtsgericht – Familiengericht – Bremen hat die Ehe der Beteiligten mit Beschluss vom 14.04.2011 geschieden. Mit weiterem Beschluss gleichen Datums hat es den Gegenstandswert für das Verfahren auf 7.800,- EUR festgesetzt, und zwar auf 6.000,- EUR wegen des Scheidungsausspruchs und auf 1.800,- EUR wegen des Versorgungsausgleichs.

Gegen die Festsetzung des Verfahrenswerts hat der Verfahrensbevollmächtigte des Ehemannes Beschwerde erhoben. Er ist der Auffassung, bei der Berechnung des Gegenstandswerts seien auch die von der Ehefrau bezogenen Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 359,- EUR und die übernommenen Wohnkosten in Höhe von monatlich 367,- EUR zu berücksichtigen.

II.

Die Beschwerde ist als sofortige Beschwerde gemäß §§ 59 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 2 FamGKG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200,- EUR. Die Beschwerdefrist gemäß §§ 59 Abs. 1 S. 3, 55 Abs. 3 S. 2 FamGKG ist gewahrt. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.

Ob Sozialleistungen zum „erzielten Nettoeinkommen“ eines Beteiligten im Sinne des § 43 Abs. 2 FamGKG gehören, ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. Zum Teil wird vertreten, Arbeitslosengeld II sei als Einkommen zu behandeln (bejahend z.B. OLG Celle, Beschluss vom 01.09.2010, NJW 2010, 3587; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.01.2011, FamRZ 2011, 992; OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.01.2011, FamRZ 2011, 1423; Klüsener, in: Prütting/Helms, Komm. z. FamFG, 2. Auflage 2011, § 43 FamGKG Rn 12 f.; Thiel, in: Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 13. Auflage 2011, Rn 7144 m.w.N.; dagegen u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 18.01.2011, FamRZ 2011, 1422; OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.03.2011, Gesch.-Nr. 18 WF 56/11, Rn 8, zitiert nach juris; Keske, in: Schulte-Bunert/Weinreich, Komm. z. FamFG, 2. Auflage 2010, Rn 9; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, Komm. z. GKG, 2. Auflage 2009, § 43 FamGKG Rn 6; Herget, in: Zöller, Komm. z. ZPO, 27. Auflage 2009, § 3 ZPO Rn 16).

Für die Berücksichtigung von Sozialleistungen als Einkommen im Sinne von § 43 Abs. 2 FamGKG wird vorgebracht, das Gesetz sehe keine Unterscheidung verschiedener Einkommensquellen vor. Auch bei der Einführung des FamGKG im Jahr 2009 habe der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, das Nettoerwerbseinkommen zum Maßstab der Berechnung des Gegenstandswerts zu machen (Thiel, a.a.O., Rn 7150). Es gebe keinen Grund, bei Bezug von Sozialleistungen einen anderen Verfahrenswert festzulegen als in Fällen, in denen erzielte Erwerbseinkünfte lediglich in Höhe von Sozialleistungen erzielt werden (OLG Celle, a.a.O., S. 3588). Dass bei Berücksichtigung von Arbeitslosengeld II als Einkommen der Mindestverfahrenswert von 2.000,- EUR gemäß § 43 Abs. 1 S. 2FamGKG weitgehend ohne Anwendungsbereich sei, sei hinzunehmen. Ein seit über 30 Jahren unveränderter Mindestwert könne keine Argumentation mehr tragen (Thiel, a.a.O., Rn 7153; OLG Brandenburg, a.a.O., m.w.N.). Zudem würden Leistungen nach dem SGB II teilweise im Unterhaltsrecht (s. dazu OLG Köln, Beschluss vom 18.12.2008, FamRZ 2009, 638, 639) und im Rahmen der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 115 ZPO als Einkommen behandelt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.07.2008, FamRZ 2009, 453).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind Leistungen nach dem SGB II bei der Berechnung des Gegenstandswerts nicht zu berücksichtigen (OLG Bremen, Beschluss vom 29.11.1991, FamRZ 1992, 709; OLG Bremen, Beschluss vom 06.10.2009, Gesch.-Nr. 4 WF 104/09). Die Einführung des FamGKG gibt keine Veranlassung, von dieser Auffassung abzuweichen. Bereits der Wortlaut des § 43 Abs. 2 FamGKG spricht gegen eine Behandlung von einkommensunabhängigen Sozialleistungen als Einkommen, da diese nicht „erzielt“, sondern bewilligt werden. Sie sind auch nicht Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und individuellen Belastbarkeit der Beteiligten. Ihre Bewilligung ist vielmehr gerade Ausdruck der fehlenden eigenen Mittel der Empfänger (OLG Naumburg, Beschluss vom 27.10.2008, FamRZ 2009, 639). Zudem käme die Anwendung des in § 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG bestimmten Mindestwerts regelmäßig nicht zur Anwendung, wenn Sozialleistungen als Einkommen im Sinne des § 43 Abs. 2 FamGKG behandelt würden (OLG Stuttgart Beschluss vom 23.03.2011, Gesch.-Nr. 18 WF 56/11, zitiert nach juris; OLG Bremen, Beschluss vom 06.10.2009, s.o.; OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2011, FamRZ 2011, 1422, 1423 m.w.N.). Dass der Mindestwert seit über 30 Jahren unverändert geblieben ist, ändert daran nichts. Der Gesetzgeber hat die Einführung des FamGKG nicht zum Anlass genommen, den Mindestwert zu erhöhen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Die geltende Streitwertregelung des § 48 Abs. 2, 3 S. 1 und 2 GKG soll für Ehesachen inhaltlich unverändert übernommen werden“ (BT-Drucks. 16/6308, S. 305). Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist bei der Auslegung der Vorschrift zu berücksichtigen. Der Mindestwert ist bei einfachsten wirtschaftlichen Lebensbedingungen der Ehegatten festzusetzen, die bei Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II regelmäßig vorliegen. Denn deren Zweck ist gemäß § 1 Abs. 1 SGB II die Sicherung des sozialrechtlichen Existenzminimums (Bieback, in: Gagel, SGB II/SGB III, 42. Erg.-Lfg. 2011, § 1 SGB II Rn 1).

Die teilweise Berücksichtigung von Sozialleistungen als Einkommen im Unterhalts- und Verfahrenskostenhilferecht ist auf § 43 Abs. 2 FamGKG nicht übertragbar, da die Vorschrift einen anderen Regelungsbereich betrifft (OLG Hamm, a.a.O.). Auch verfassungsrechtliche Aspekte stehen der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Das BVerfG hat die Festsetzung des Verfahrenswerts ohne Berücksichtigung von Sozialleistungen mit Beschluss vom 22.02.2006 (FamRZ 2006, 841) für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt.

Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 59 Abs. 3 FamGKG nicht veranlasst.

Wever Abramjuk Frank

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