OLG Celle, Beschluss vom 21.12.2015 – 10 UF 272/15
Vorinstanz: Amtsgericht Hannover – 631 F 6569/14
Beschluss
In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für das beteiligte Kind …
…
hat der 10. Zivilsenat – Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Volker und die Richter am Oberlandesgericht Heck und Gieseking am 21. Dezember 2015 beschlossen:
I. Der Kindesmutter wird die für das Beschwerdeverfahren nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe versagt.
II. Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Hannover vom 9. September 2015 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
Wegen des Sachverhalts wird auf die ausführliche Sachdarstellung in den Gründen des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Gegen diese ihr am 17. September 2015 zugestellte Entscheidung hat die Kindesmutter mit einem am Montag, dem 19. Oktober 2015, beim Amtsgericht eingegangen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese gegenüber dem Senat am 20. November 2015 begründet. Sie wendet ein, die durch die angefochtene Entscheidung hergestellte gemeinsame elterliche Sorge der Kindeseltern für ihren Sohn …, geboren am …, entspreche nicht dem Kindeswohl, weil die Kindeseltern nicht in der Lage seien, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Dies zeige die Vergangenheit, in welcher sie, die Kindesmutter, immer allein entschieden habe. Selbst nach dem Erlass der Entscheidung des Amtsgerichts Hannover habe sich hieran nichts geändert. Der Kindesvater zeige selbst jetzt kein Interesse an der Entwicklung seines Sohnes. So habe er sich in dem noch nicht abgeschlossenen, parallel geführten Umgangsverfahren 631 F 799/14 (UG), Amtsgericht Hannover, zwar verpflichtet, zur Unterstützung seines Sohnes eine Therapie zu beginnen und dies entsprechend zu belegen. Ein solcher Nachweis liege jedoch nach wie vor nicht vor. Auch habe sich der Kindesvater trotz der im September dieses Jahres erfolgten Einschulung des Sohnes nach wie vor nicht erkundigt, in welcher Schule … überhaupt beschult werde. Auch habe er bislang weder an der schulischen Entwicklung noch an sonstigen Belangen des Kindes irgendein Interesse geäußert. Darüber hinaus sei bei einem gemeinsamen Sorgerecht eine Kindeswohlgefährdung nicht auszuschließen. Hierüber habe das Amtsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Es sei nochmals darauf hinzuweisen, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Kindesvater zwar eingestellt wurde, dies beruhe jedoch allein darauf, dass … – als einziger möglicher Zeuge – bisher nicht in der Lage gewesen sei, über den sexuellen Kindesmissbrauch zu sprechen. Gleichwohl sei von der durch das Familiengericht beauftragten Gutachterin keine ausreichende Untersuchung über den Wahrheitsgehalt … zu möglichen Übergriffen vorgenommen worden. Das Amtsgericht habe darüber hinaus keine Feststellungen darüber getroffen, ob zwischen den Kindeseltern überhaupt ein Mindestmaß an Übereinstimmung vorliege, sondern sich stattdessen mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle auseinandergesetzt. Auch habe sich das Amtsgericht mit dem eingeholten Sachverständigengutachten nicht kritisch auseinandergesetzt, sondern sei diesem einfach gefolgt. Dabei habe die Gutachterin keine der bei möglichem sexuellem Kindesmissbrauch gängigen Untersuchungen durchgeführt. Die Gutachterin sei weder auf das Alter des Kindes noch auf sein Verständnis zum Tatzeitpunkt eingegangen. Ferner sei nicht ersichtlich, worauf das Amtsgericht seine Prognose stützte, dass die Kindeseltern in der Lage sein werden, zusammenzuwirken und die elterliche Sorge einvernehmlich auszuüben. Vielmehr habe der Kindesvater bisher kein Interesse an der Entwicklung des Kindes gezeigt. Es habe in der Vergangenheit keine Kommunikation zwischen ihnen gegeben, es sei denn, sie, die Kindesmutter, habe diese initiiert. Nicht berücksichtigt habe das Amtsgericht auch, dass das Kind den Kindesvater inzwischen einfach ignoriere. Es werde – ohne strafrechterliche Feststellungen – festgestellt, dass kein Kindesmissbrauch stattgefunden habe, das Kind nur deshalb traumatisiert sei, weil die Kindesmutter den Kontakt abgebrochen habe. Dies entbehre jeglicher Grundlage.
Die Kindesmutter hat zudem um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nachgesucht.
Der Kindesmutter kann die für das Beschwerdeverfahren nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil ihre Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO). Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Ausführungen. Auf den Umstand, dass die Kindesmutter zudem keine aktuellen Verfahrenskostenhilfeunterlagen für das Beschwerdeverfahren vorgelegt hat, kommt es daher nicht mehr an.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und in der Folgezeit auch begründete Beschwerde der Kindesmutter hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Kindesmutter verkennt bereits den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt, wie ihn das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung vollkommen zu Recht im Einzelnen ausgeführt hat. Danach liegt den gesetzlichen Bestimmungen zur elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Kindeseltern seit dem 19. Mai 2013 infolge des Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16. April 2013 (BGBl. I S. 795) nunmehr das gesetzliche Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge zugrunde, wie der Senat in der vom Amtsgericht zitierten Entscheidung vom 16. Januar 2014 (10 UF 80/13 – FamRZ 2014, 857 – 858 = NdsRpfl 2014, 123 – 125 = NJW 2014, 1309 – 1311 = NZFäm 2014, 367 – 369 = ZKJ 2014, 206 – 208 = JAmt 2014, 281 – 282) bereits entschieden und näher ausgeführt hat. Die von der Kindesmutter demgegenüber angeführte ältere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidung vom 29. Januar 2003 – 1 BvL 20/99 sowie 1 11/13 933/01 – BVerfGE 107, 150 = FamRZ 2003, 285) betreffen dagegen noch die alte, seit dem 19. Mai 2013 nicht mehr geltende Rechtslage.
Auf diese geänderten rechtlichen Anforderungen geht die Kindesmutter in ihrer Beschwerdebegründung nicht hinreichend ein. Sie beschränkt sich insoweit vielmehr darauf, abermals einseitig dem Kindesvater Fehlverhalten und Versäumnisse vorzuwerfen, ohne dabei zu erwähnen, dass sich in der mündlichen Erörterung vor dem Amtsgericht vom 20. Juli 2015 nicht nur der Kindesvater zu einer Beratung verpflichtet hatte. Vielmehr hatte die Kindesmutter ihrerseits die Verpflichtung übernommen, sich um eine therapeutische Behandlung des Kindes zur Verarbeitung seiner Gefühle im Zusammenhang mit den Kontakten zum Kindesvater wie auch um eine Ergo- und Logotherapie zu bemühen. Vorgelegt hat sie insoweit lediglich ein knappes kinderärztliches Attest vom 10. August 2015, wonach zurzeit keine logopädische oder ergotherapeutische Therapie erforderlich sei (BI. 198 d. A.). Zu ihrer darüber hinausgehenden Verpflichtung hinsichtlich einer kinderpsychiatrischen oder -psychologischen Abklärung und gegebenenfalls Therapie äußert sich die Kindesmutter dagegen nicht, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass sie in dieser Richtung ihrerseits nichts veranlasst hat.
Auch gibt die Kindesmutter in keiner Weise an, welche Anstrengungen sie bisher unternommen hätte, um die bestehenden Kommunikationsschwierigkeiten der Kindeseltern von ihrer Seite her zu verbessern. Zu diesbezüglichen Anstrengungen ist sie kraft ihrer elterlichen Verantwortung jedoch verpflichtet. Keineswegs kann sie sich darauf zurückziehen, eine Verantwortlichkeit für Schwierigkeiten stets dem anderen Elternteil vorzuwerfen.
2. Auch die Angriffe der Kindesmutter gegen das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten gehen fehl. Sie sind nicht geeignet, die Überzeugungskraft des Gutachtens in Frage zu stellen. Zu Recht hat das Amtsgericht die gutachterlichen Feststellungen nach eigener kritischer Überprüfung, die sich durchaus der amtsgerichtlichen Entscheidung entnehmen lässt, zugrunde gelegt, soweit es darauf für das hier vorliegende Sorgerechtsverfahren überhaupt ankam. Im Kern geht es hier indes um eine Rechtsfrage, die anhand der oben wiedergegebenen Kriterien zu beantworten ist, ohne dass es insoweit einer gutachterlichen Stellungnahme hierzu bedürfte.
3. In Anbetracht der rechtlichen Unerheblichkeit des von der Kindesmutter ungeachtet dessen weitergehenden Missbrauchsverdachts und ausgehend von der neuen Sachlage der gemeinsamen elterlichen Sorge sind beide Kindeseltern verpflichtet, ihre Vorbehalte gegenüber dem anderen Elternteil zurückzustellen und zum Wohle des Kindes aufeinander zuzugehen. Dabei sollten sie auch die derzeit laufende Anbahnung des persönlichen Umgangs des Kindesvaters mit … im parallel geführten Umgangsverfahren nutzen, miteinander in Kontakt zu treten und Vertrauen aufzubauen. Das Modell eines kompletten Kontaktabbruchs gegenüber dem Kindesvater kann und darf die Kindesmutter nicht weiterverfolgen. Dies ist ihr wegen des gemeinsamen Kindes, das ein Recht auf Umgang mit seinem Vater hat und nunmehr auch auf der Grundlage der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht gestattet. Soweit sie sich zu einer Zusammenarbeit mit dem Kindesvater derzeit noch nicht in der Lage sehen sollte, ist sie kraft ihrer elterlichen Verantwortung verpflichtet, professionelle beratende Hilfe Dritter, insbesondere der Erziehungsberatungsstelle des für ihren jetzigen Wohnort in X zuständigen Jugendamtes, sowie erforderlichenfalls darüber hinaus auch therapeutischer Hilfe für sich selbst in Anspruch zu nehmen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Beschwerdewertes auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Volker Heck Gieseking
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