Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 23.07.2013 – 2 UF 39/13

Die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge kann nicht damit gerechtfertigt werden, Konfliktpotenzial aus der Elternbeziehung zu nehmen und die Position der Kindesmutter durch Übertragung der Alleinsorge zu stärken.

Tenor

Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der am 11.01.2013 erlassene Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Marl abgeändert.

Der Antrag der Kindesmutter auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die Kinder D Q, geboren am 26.07.2002, und K Q, geboren am 16.03.2004, wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten für das Verfahren erster und zweiter Instanz werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Die beteiligten Kindeseltern sind geschiedene Eheleute. Sie leben mittlerweile beide in neuen Beziehungen. Aus der am 06.12.2002 geschlossenen Ehe sind die Kinder D, geboren am 26.07.2002, und K, geboren am 16.03.2004, hervorgegangen. Am 19.05.2007 erfolgte die Trennung der Kindeseltern, zunächst noch innerhalb der Ehewohnung. Am 01.07.2007 zog die Kindesmutter aus. In dem Verfahren Amtsgericht Marl 26 F 93/07, welches das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder zum Gegenstand hatte, trafen die Beteiligten am 02.07.2007 eine Einigung, wonach die Kinder vorläufig ihren Aufenthalt bei der Kindesmutter haben sollten. In dieser Weise wurde sodann auch verfahren. Am 14.09.2007 trafen die Kindeseltern vor dem Amtsgericht sodann eine entsprechende endgültige Einigung. Das Amtsgericht beschloss daraufhin am selben Tag, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder auf die Kindesmutter übertragen wird.

In der Folgezeit wurde vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer ein Umgangsverfahren geführt (Az.: 20 F 235/08), welches am 23.09.2009 – nach Einholung eines Sachverständigengutachtens – mit einer dahingehenden Einigung endete, dass dem Kindesvater ein 14tägiges Umgangsrecht eingeräumt wurde. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 30.08.2012 leitete der Kindesvater ein weiteres Umgangsverfahren ein, in welchem er eine Erweiterung des Umgangsrechts sowie außerdem anstrebte, dass es der Kindesmutter untersagt wird, die Kinder weiterhin zu ihren Eltern, also zu den Großeltern der Kinder, zu bringen. Die Kindesmutter begehrte im Wege des Widerantrags einen Ausschluss des Umgangsrechts des Kindesvaters. Am 12.10.2012 kam es sodann zu einer Einigung der Kindeseltern, in welchem grundsätzlich das 14tägige Umgangsrecht fortgeschrieben wurde, allerdings mit einigen Modifizierungen. Unter anderem ist unter IV der Vereinbarung festgeschrieben, dass der Kindesvater die Kindesmutter weder telefonisch noch persönlich kontaktiert.

Das vorliegende Verfahren wurde durch anwaltlichen Schriftsatz der Kindesmutter vom 25.09.2012 eingeleitet. Ihren Antrag, ihr die alleinige elterliche Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder zu übertragen, begründete die Kindesmutter damit, dass sie schon seit Längerem Probleme mit dem Kindesvater habe, die sich in der letzten Zeit massiv verstärkt hätten. Wenn es nicht so laufe, wie er sich das vorstelle, werde er maßlos aggressiv und flippe aus. Er setze auch die Kinder stark unter Druck, die große Angst hätten, wenn er sie anschreie. Mit dem Kindesvater seien vernünftige Regelungen überhaupt nicht mehr möglich und sie könne praktisch keine Absprachen mehr mit ihm treffen, weil er sowieso mache, was er wolle. Einer vernünftigen Argumentation sei er nicht mehr zugänglich. D verhalte sich nicht altersentsprechend und benötige ärztliche Unterstützung. K habe keine Kontakte zu Kindern aus ihrer Klasse und ziehe sich zurück. Beide Kinder bräuchten möglicherweise eine therapeutische Behandlung. Der Kindesvater terrorisiere sie, wie sich aus der überreichten Telefonliste mit Anrufen des Kindesvaters in der Zeit vom 16.07. bis zum 24.08.2012 ergebe. Wenn sie den Hörer einmal nicht abgenommen habe, sei er bei ihr vor der Haustür erschienen, um zu prüfen, ob sie zu Hause sei; habe er sie dort nicht erreicht, sei er unangemeldet bei ihren Eltern erschienen, die im Hause nebenan wohnen, und habe diese bedroht und beschimpft, und zwar auch im Beisein der Kinder. Der Kindesvater sei nicht erziehungsgeeignet und schade dem Wohl der Kinder. Sie selbst müsse Beruhigungstabletten nehmen und habe massiv abgenommen.

Nach der im Umgangsverfahren getroffenen Einigung war das vorliegende Verfahren zunächst nicht weiter betrieben worden. Mit Schriftsatz vom 16.11.2012 teilte die Kindesmutter dann jedoch nur rd. einen Monat nach der Einigung mit, dass sich die Umgangskontakte nicht positiv entwickelt hätten, der Kindesvater vielmehr erhebliche Verhaltensdefizite aufweise, die dringend therapeutisch behandelt werden müssten, damit die Kinder nicht auf Dauer ernsthaft Schaden durch den Kontakt mit ihm nehmen würden. Der Kindesvater instrumentalisiere die Kinder und setze sie unter Druck; diese müssten dann für ihn den Kontakt zu ihr herstellen. Sie könne mit dem Kindesvater keinerlei Absprachen treffen. Die Kommunikation zwischen den Eltern sei in wesentlichen Punkten gestört; es seien über Jahre hinweg beim Jugendamt Elterngespräche geführt worden, die letztlich zu nichts geführt hätten. Unter diesen Umständen sei sie es leid und zeige keine Bereitschaft mehr, mit dem Kindesvater zusammenzuarbeiten. Es sei auch nicht zu erwarten, dass durch eine Beratung durch das Jugendamt eine Kommunikation und ein Minimalkonsens wieder hergestellt werden könnten.

Die Kindesmutter hat beantragt,

ihr die elterliche Sorge für D und K unter Erweiterung des Beschlusses vom 14.9.2007 zur alleinigen Ausübung zu übertragen.

Der Kindesvater hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat vorgetragen, von der Kindesmutter gehe ausschließlich eine Verweigerungshaltung aus, weil sie offensichtlich der Auffassung sei, dass das Sorgerecht auf sie übertragen werde, wenn sie nicht bereit sei, irgendwelche Gespräche mit ihm zu führen. Die Probleme seien eigentlich erst aufgetreten, seitdem die Kindesmutter einen neuen Partner habe, ihren eigenen Cousin U L. Möglicherweise sei nun bei der Kindesmutter wieder ihre alte Krankheit Magersucht aufgetreten.

Das Jugendamt der Stadt L hat unter dem 26.11.2012 berichtet. Nach dortiger Einschätzung sei die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts im Rahmen der gegenwärtigen Bedingungen nicht möglich. Der Kindesvater dürfe nach der gerichtlichen Vereinbarung vom 12.10.2012 die Kindesmutter derzeit weder telefonisch noch persönlich kontaktieren. Die Kindeseltern müssten jedoch wieder lernen, sich gemeinsam auf einer konstruktiven Ebene über die Belange der Kinder auszutauschen. Bei diesem Schritt müsse externe Hilfe im Rahmen einer Mediation angeboten werden. Fraglich bleibe jedoch der Erfolg, da dies bereits Auflage in einem früheren Verfahren gewesen sei und heute wieder ein äußerst angespanntes Verhältnis zwischen den Kindeseltern bestehe. Weiterhin bestehe der Eindruck, dass nicht die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts den Hauptkonflikt darstelle, sondern die Gestaltung der Kontakte zwischen dem Kindesvater und den Kindern. Dieses Konfliktfeld bleibe auch bei alleinigem Sorgerecht der Kindesmutter bestehen. Eine Vermittlung durch das Jugendamt sei auf der Grundlage, dass die Kindeseltern nicht miteinander kommunizieren, nicht möglich; das Jugendamt werde lediglich als Sprachrohr genutzt.

Der Verfahrensbeistand hat unter dem 05.01.2013 Stellung genommen und vorgeschlagen, die elterliche Sorge allein auf die Kindesmutter zu übertragen. Nach dem Vortrag beider Elternteile bestehe zwischen ihnen keinerlei Kommunikation. Hier sei nicht in absehbarer Zeit damit zu rechnen, dass die Kommunikationsfähigkeit zwischen den Eltern wieder hergestellt werden könne. Der Kindesvater habe ein umfassendes Auskunftsrecht gegen die Kindesmutter, so dass ihm keine wesentlichen Nachteile entstehen würden.

Das Amtsgericht hat die Beteiligten und die Kinder am 11.01.2013 angehört. Wegen des Inhalts wird auf das Sitzungsprotokoll und den Vermerk über die Anhörung der Kinder Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat sodann durch den angefochtenen Beschluss das Sorgerecht für beide Kinder unter Ausweitung des Beschlusses des Amtsgerichts Marl vom 14.09.2007 der Kindesmutter zur alleinigen Ausübung übertragen. Bei den Kindeseltern sei eine Kooperationsfähigkeit nicht mehr gegeben. In den Terminen vom 12.10.2012 im Umgangsverfahren sowie vom 11.01.2013 sei ein enormes Konfliktpotential zwischen den Kindeseltern deutlich geworden. Dies habe sich auch in den gegenseitigen Vorhaltungen und Beleidigungen, die Absprachen über Kindeswohlbelange ausschließen würden, gezeigt. Insbesondere der Kindesvater sei im Termin nicht in der Lage gewesen, eine sachliche Ebene für eine Kommunikation mit der Kindesmutter auch nur ansatzweise zu finden.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Kindesvaters.

Aus seiner Sicht verhalte es sich nach wie vor so, dass beide Eltern gemeinsam in der Lage seien, die Interessen der Kinder in Verantwortung wahrzunehmen. Er sei auch nach wie vor bereit, mit der Kindesmutter zu kooperieren. Die Kooperation werde einseitig durch die Kindesmutter unterbunden. Bis die Kindesmutter eine neue Partnerschaft eingegangen sei, habe es zwischen ihnen beiden kein Konfliktpotential gegeben. Erst seit Juni 2012 bestünden Schwierigkeiten. Es habe dann Vermittlungsgespräche beim Jugendamt gegeben, die aus seiner Sicht positiv verlaufen seien. Am 12.09.2012 habe die Kindesmutter dann gegenüber dem Jugendamt angegeben, nicht weiter gesprächsbereit zu sein. Die Kindesmutter habe sich dann im Dezember 2012 in stationäre psychiatrische Behandlung begeben. Die Kinder seien deswegen in den Weihnachtsferien über 14 Tage in seinem Haushalt gewesen. Die Kindesmutter befinde sich nach wie vor in einer ambulanten Therapie. Die Kindesmutter leide an Bulimie, dies bereits seit dem 14. Lebensjahr mit mehreren stationären Krankenhausaufenthalten. Nach den Angaben der Kinder würden sich kaum Lebensmittel im Haushalt der Antragstellerin befinden; D esse auch nur sehr wenig. Er habe deswegen Sorge, dass D diesbezüglich kontrolliert werden müsse. Bislang sei dies ärztlicherseits noch nicht thematisiert worden. Weitere Fragen zum Thema Sorgerecht gebe es derzeit nicht. Die Tochter D sei auf einer Gesamtschule. Die Tochter K werde im Jahre 2014 die Schule wechseln. Er gehe davon aus, dass auch K zur Gesamtschule nach L gehen werde und sehe diesbezüglich kein Konfliktpotential mit der Kindesmutter.

Hinsichtlich der Telefonate gebe es kein Konfliktpotential mehr, seitdem seit August insoweit klare Linien bestünden. Es gebe einen konkreten Telefontermin, zu welchem er die Möglichkeit habe, die Kinder anzurufen; das klappe auch weitestgehend. Er sei auch bereit, mit der Kindesmutter zu kommunizieren. Die Kooperationsbereitschaft werde einseitig durch diese negiert. Dies könne nicht das alleinige Kriterium für die Entscheidungsfindung sein.

Von der Schule erhalte er seit dem Beschluss des Amtsgerichts keine Auskunft mehr. Im Nachhinein habe er erfahren, dass D eine schwere Magen-Darm-Grippe gehabt habe. Er gehe davon aus, dass aufgrund der gesundheitlichen Situation der Kindesmutter derzeit deren Eltern, die Eheleute T, die Arztbesuche und auch die Betreuung von D wahrnehmen. Dies würde er selbst gerne machen. Bei D müsse überprüft werden, ob nicht möglicherweise ein anderweitiges Krankheitsbild als Magen-Darm-Infektionen vorliegen würden, die im Januar und Februar 2013 aufgetreten sein sollen. D sei spindeldürr und habe keine Lust mehr auf sportliche Veranstaltungen. Er habe Sorge, dass möglicherweise bei D in gesundheitlicher Hinsicht das Eine oder Andere übersehen werde. Nach seiner Kenntnis verhalte es sich so, dass die Therapie der Kindesmutter betreffend die Magersucht abgebrochen worden sei. Die Kindesmutter sei nicht in der Lage gewesen, den Anweisungen der Therapieeinrichtung Folge zu leisten. Auch K habe ihm gegenüber bei einem Besuchskontakt am 09.03.2013 darüber geklagt, dass sie an Magenschmerzen leide, dies schon seit einer Woche. Die Kindesmutter habe sich hierum nicht gekümmert. Ihm sei es aufgrund des angefochtenen Beschlusses verwehrt gewesen, mit K zum Arzt zu gehen. Bei der Kommunionsfeier der Tochter K am 05.05.2013 habe die Tochter D, nachdem sie nach einem Eis gefragt wurde, mit der Begründung abgelehnt, sie müsse auf ihre Figur achten, sie sei schon zu dick. Tatsächlich sei D ganz drahtig und sportlich. Er habe große Sorge, dass das Essverhalten von D in der Richtung des Krankheitsbildes der Kindesmutter gehe. Die Kinder würden im Haushalt der Kindesmutter teilweise mit Babygläschen und Kleinkindernahrung ernährt. Auch bei ihm während der Umgangskontakte würde D auf Fleisch und Gemüse verzichten. Er sehe einen dringenden Handlungsbedarf. D müsse im Hinblick auf ihr Gewicht und ihr Essverhalten ärztlich untersucht werden. Die Kinder würden auch häufig unausgeschlafen zu ihm kommen, weil sie bei der Kindesmutter so lange aufbleiben dürfen, wie sie wollen. D habe mitgeteilt, sie sei sogar einmal bis morgens um 7.00 Uhr wachgeblieben und habe ferngesehen und ähnliches. Er mache sich wegen des Gesundheitszustandes der Kindesmutter große Sorgen. Diese gebe zur eigenen Entlastung die Kinder täglich bei ihren Eltern ab. Ihre Therapie habe sie abgebrochen und sei auch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, ihr Ausbildungsverhältnis fortzusetzen.

Die Kinder seien im Hinblick auf ihre Aussage bei Gericht manipuliert worden. Für ihn selbst sei das Verfahren von erheblicher Bedeutung. Er wolle sich nach wie vor um die Belange der Kinder kümmern.

Schließlich sei zu beanstanden, dass das Amtsgericht kein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde werde angeregt.

Der Kindesvater beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Antrag der Kindesmutter zurückzuweisen.

Die Kindesmutter beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages. Sie habe veranlasst, dass D psychologische Unterstützung erhalte. Seit November 2012 nehme sie einmal monatlich entsprechende Termine beim Caritas-Verband wahr. Auch die Tochter K sei nach den Osterferien bei der D1-Gruppe für Trennungs- und Scheidungskinder angemeldet worden, wo K einmal wöchentlich einen Termin wahrnehme. Sie sorge für eine ordnungsgemäße ärztliche Versorgung der Kinder. Die Vorwürfe des Kindesvaters hinsichtlich des Essverhaltens von D seien unberechtigt. Sie selbst habe nicht unter Bulimie, sondern Anorexie gelitten, die stationär behandelt worden sei. Sie sei weiterhin bei der Hausärztin in Behandlung. Sie könne sich nicht des Eindrucks erwehren, dass der Kindesvater auch dieses Verfahren wieder zum Anlass nehme, sowohl sie selbst als auch die Kinder permanent zu kritisieren und ihnen Vorwürfe zu machen. Auch sie regt an, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Der Verfahrensbeistand hat unter dem 10.06.2013 zweitinstanzlich berichtet. Die von ihm angehörten Kinder sowie die Kindesmutter hätten sich zu den Vorwürfen des Kindesvaters betreffend das Essverhalten geäußert. Der Vater habe daraufhin erklärt, dass sei auch nicht so wichtig. Im Ergebnis komme er dahin, seine erstinstanzliche Einschätzung zu wiederholen. Er sehe auch für die Zukunft keine günstige Prognose für eine gemeinsame Ausübung des Sorgerechts. Anstatt im weiteren Verfahren die möglichen Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, überhäufe der Kindesvater die Kindesmutter mit immer neuen Vorwürfen. Der Kindesvater übersehe, dass bei zur Zeit nicht bestehender Kooperation und Kommunikation und insoweit fehlender positiver Prognose für die Zukunft objektiv eine Basis für ein gemeinsames Sorgerecht nicht bestehe. Die vom Kindesvater für den Fall einer negativen Entscheidung befürchteten eingeschränkten Auskunftsmöglichkeiten ließen sich möglicherweise dadurch umgehen, dass die Kindesmutter die behandelnden Ärzte der Kinder von der Schweigepflicht gegenüber dem Kindesvater ausdrücklich entbinde und auch gegenüber der Schule eine Bevollmächtigung zur Auskunftserlangung erteile.

Die Mitarbeiterin des Jugendamts der Stadt N hat sich unter dem 21.06.2013 nochmals geäußert. Nach wie vor finde ein reger telefonischer Austausch über das Jugendamt als „Nachrichtenüberbringer“ statt, wobei sich insbesondere der Vater wöchentlich melde, um von Schwierigkeiten bei den Besuchskontakten zu berichten. Da dem Kindesvater in der gerichtlichen Vereinbarung vom 12.10.2012 der persönliche Kontakt zur Kindesmutter untersagt worden sei, werde das Jugendamt in massiver Art und Weise zum Kundtun der Streitigkeiten genutzt. Als überaus bedenklich werde darauf hingewiesen, dass auch die Kinder als Vermittler und Überbringer der Inhalte auf der Elternebene herhalten müssten. Die Kindesmutter habe ihr erklärt, sie wolle aus gesundheitlichen Gründen nicht zu einem Kontakt gezwungen werden. Seit dem Beschluss des Amtsgerichts gehe es ihr besser und sie komme endlich wieder zur Ruhe. Sie wolle weiterhin allein Entscheidungen finden dürfen und erkläre sich bereit, den Kindesvater über wichtige Ereignisse zu informieren. Der Kindesvater habe demgegenüber erklärt, dass er keine Gründe dafür sehe, warum ihm das Sorgerecht entzogen worden sei. Er sehe keinen Vorteil für die Kinder durch die alleinige Ausübung des Sorgerechts durch die Kindesmutter, sondern nur Nachteile. Die Kinder hätten deutlich gemacht, dass sie das Weitergeben von Nachrichten der Eltern „voll nerven“ würde. Sie würden sich wünschen, dass die Eltern wieder miteinander reden können. Beide Kinder hätten sich mehr Kontakt zum Vater gewünscht und würden am liebsten täglich mit ihm telefonieren. K habe sich für ein gemeinsames Sorgerecht ausgesprochen; D habe keinen traurig machen wollen. D habe das genaue Datum des Gerichtstermins gewusst. Die Mutter würde wegen des Gerichtstermins zittern.

Im Ergebnis würden keine sorgerechtsrelevanten Streitpunkte zwischen den Kindeseltern existieren. Ein Großteil der Streitpunkte entstehe vermutlich aufgrund der fehlenden Kommunikation auf der Elternebene. Aus ihrer Sicht schade der Mangel an grundlegender Kommunikation gemäß der Vereinbarung vom 12.10.2012 dem Kindeswohl. Die Kinder selbst würden organisatorische Absprachen bezüglich der Besuchskontakte transportieren; dies müsse aber auf der Elternebene passieren und könne nicht in die Verantwortung der Kinder gegeben werden, insbesondere wenn daraus Streitigkeiten auf der Elternebene entstehen und die Kinder sich verantwortlich fühlen. Das Verhalten der Kindesmutter, die Kommunikation mit dem Kindesvater einseitig zu verweigern, müsse kritisch betrachtet werden. Aus ihrer Sicht sei es den Kindeseltern weiterhin zuzumuten, eine geeignete grundlegende Kommunikationsbasis zum Kindeswohl aufzubauen. Soweit die Kindesmutter hinsichtlich der Kommunikationsverweigerung eigene gesundheitliche Gründe angebe, sei dies näher zu erörtern. Die Erkrankung der Kindesmutter (Anorexie) könne auch als Argument für eine Ausübung der gemeinsamen Sorge für die Kinder gesehen werden. Im dringenden Notfall bestehe so eine zweite gesetzliche Vertretung als Sicherheit für die Kinder. Auch würde es dem Kindeswohl entsprechen, wenn die Kinder in der Gewissheit aufwachsen, dass sich beide Elternteile, zu denen eine innige Bindung bestehe, um sie kümmern und die Verantwortung übernehmen. Bei sorgerechtsrelevanten Entscheidungen sei mit wenig Konfliktpotential zu rechnen. Bei der alleinigen Ausübung des Sorgerechts der Kindesmutter sei es eine Überlegung, zur Erleichterung der Handlungsfähigkeit des Kindesvaters mit Vollmachten zu arbeiten (Arzt, Schule, Caritas).

Der Senat hat im Termin vom 16.7.2013 die Beteiligten, das Jugendamt und die Kinder angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin Bezug genommen.

II.

1.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Nach dem Akteninhalt und dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Anhörung kann nicht festgestellt werden, dass zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf die Kindesmutter dem Wohl der Kinder am besten entspricht, § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Es hat daher bei der gemeinsamen elterlichen Sorge der Kindeseltern für die beiden beteiligten Kinder zu verbleiben. Hiervon ausgenommen ist das Aufenthaltsbestimmungsrecht, welches aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Marl vom 14.9.2007 der Kindesmutter allein zusteht, was vom Kindesvater auch nicht beanstandet wird.

a)

Der Bundesgerichtshof hat zu der vorgenannten Vorschrift entschieden, dass allein aus der normtechnischen Gestaltung von § 1671 BGB kein Regel-/Ausnahmeverhältnis zugunsten des Fortbestandes der gemeinsamen elterlichen Sorge hergeleitet werden könne. Ebenso wenig bestehe eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei. Für die allgemein gehaltene Aussage, dass eine gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern dem Kindeswohl prinzipiell förderlicher sei als die Alleinsorge eines Elternteils, bestehe in der kinderpsychologischen und familiensoziologischen Forschung auch weiterhin keine empirisch gesicherte Grundlage (BGH, Beschluss v. 12.12.2007, Az. XII ZB 158/05, FamRZ 2008, 592 = NJW 2008, 994). Vorzuziehen ist die Alleinsorge daher in Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht funktioniert, weil zwischen den Eltern keine Konsensmöglichkeit besteht (Palandt/Götz, 72. Aufl., § 1671 BGB, Rdnr. 20 m. w. N.). Allerdings sind getrenntlebende Eltern im Rahmen der gemeinsamen elterlichen Sorge grundsätzlich zur Konsensfindung verpflichtet, solange ihnen dies zum Wohle des Kindes zumutbar ist, wobei diese Verpflichtung allerdings nicht überspannt werden darf (Palandt/Götz a.a.O., Rdnr. 16 m. w. N.). Verweigert nur ein Elternteil die Kooperation, reicht dies für die Verdrängung des anderen Elternteils aus der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht ohne weiteres aus, es sei denn, die Kooperation ist auch unter Berücksichtigung der Kindesbelange unzumutbar, weil der Elternteil für das Versagen seiner Kooperationsbereitschaft nachvollziehbare Gründe hat (Palandt/Götz a.a.O., Rdnr. 19 m. w. N.). Bei der Entscheidung nach § 1671 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 BGB ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigten ( BVerfG, Beschluss v. 30.6.2009, Az. 1 BvR 1868/08, FF 2009, 416).

b)

Die vorgenannten Grundsätze führen hier unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu einer Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge.

Zwischen den Kindeseltern bestehen zwar derzeit die in den Berichten des Verfahrensbeistandes und der Mitarbeiterin des Jugendamtes beschriebenen Kommunikationsprobleme. Diese sind nicht zuletzt auf das Verhalten des Kindesvaters zurückzuführen, der einen Drang hat, die Kindesmutter in Bezug auf ihre Rolle als Erziehende der beiden gemeinsamen Kinder zu kontrollieren. Dies hat in der Vergangenheit zu Problemen geführt, die sich u. a. in einer Vielzahl von Telefonaten seitens des Kindesvaters ausdrückten. Hinzu kommt, dass der Kindesvater impulsiv reagiert und sich schnell angegriffen fühlt. Diese Umstände führten nach den Ausführungen des Amtsgerichts im angefochtenen Beschluss dazu, dass in den dortigen Terminen ein enormes Konfliktpotential zwischen den Eltern deutlich wurde, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass diese Termine für die Kindeseltern eine extreme Belastungssituation darstellten, die mit einer großen nervlichen Anspannung einhergingen. Die dem Protokoll des Termins vom 11.1.2013 zu entnehmenden verbalen Entgleisungen des Kindesvaters dürften vor diesem Hintergrund zu sehen sein, weshalb aus diesen Äußerungen nicht ohne weiteres auf eine generell fehlende Kommunikationsmöglichkeit der Kindeseltern geschlossen werden kann.

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge offenbar jedenfalls bis etwa zur Jahresmitte 2012 funktioniert hat, also auch noch viele Jahre nach der im Jahr 2007 erfolgten Trennung der Beteiligten. Konfliktfeld war insoweit lediglich die Regelung des Umgangs, was aber für sich allein genommen keine Maßnahmen hinsichtlich der elterlichen Sorge erforderlich macht. Auch die Kindesmutter hat im Senatstermin ausgeführt, dass man sich eigentlich recht gut verstanden habe, bis es so extrem geworden sei, womit der Zeitraum ab Jahresmitte 2012 gemeint war.

Dass der Kindesvater in diesem Zeitraum ein übertriebenes Kontrollverhalten an den Tag gelegt hat, scheint er mittlerweile selbst eingesehen zu haben. Noch im Oktober 2012 ist diesbezüglich eine Regelung zwischen den Kindeseltern getroffen worden, an die sich der Kindesvater hält. Seitdem finden Telefonate nur noch zu festgelegten Zeiten oder dann statt, wenn die Kinder dies wünschen.

Soweit die Kindesmutter anführt, die Situation habe sich seit dem Beschluss des Amtsgerichts entspannt, entspricht dies ihrer Sichtweise, nicht hingegen derjenigen des Jugendamtes. Deren Mitarbeiterin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kommunikation zwischen den Kindeeltern derzeit einseitig von der Kindesmutter verweigert wird, während der Kindesvater die Kommunikation wolle. Insoweit kann der Senat die Sichtweise der Mutter zwar nachvollziehen, dass die Situation derzeit für sie einfacher ist und sich möglicherweise auch positiv auf ihren Gesundheitszustand auswirkt. Dies rechtfertigt jedoch nicht, den Kindesvater von der elterlichen Sorge auszuschließen. Vielmehr ist der Kindesmutter zuzumuten, die Kooperation mit dem Kindesvater zu suchen. Die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge kann nicht damit gerechtfertigt werden, Konfliktpotential aus der Elternbeziehung zu nehmen und die Position der Kindesmutter durch Übertragung der Alleinsorge zu stärken, was aus der Bedeutung und Tragweite des mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Elternrechts folgt; Maßstab und Ziel einer Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist nicht der Ausgleich persönlicher Defizite zwischen den Eltern mittels Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil, sondern allein das Kindeswohl (BVerfG a. a. O.).

Kindeswohlbelange erfordern indes nicht die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Zwar sind die Kinder nach den Äußerungen des Verfahrensbeistandes und der Mitarbeiterin des Jugendamtes durch die aktuelle Situation beeinträchtigt. Dies ist jedoch nicht dadurch begründet, dass der Kindesvater Mitinhaber der elterlichen Sorge ist. Streit zwischen den Kindeseltern über sorgerechtsrelevante Themen hat es zwischen den Kindeseltern weder in der Vergangenheit gegeben noch gibt es sie heute. Die tatsächlichen Auswirkungen auf die aktuelle Lebenssituation der Kinder durch die vom Senat zu treffende Entscheidung sind daher jedenfalls nach derzeitigem Sachstand äußerst gering. Vielmehr verspüren die Kinder den auf den Kindeseltern lastenden Druck des Verfahrens und sind darüber hinaus insbesondere durch gelegentliche Unstimmigkeiten der Kindeseltern betreffend den Umgang tangiert. Aus diesem Grund teilt der Senat die Einschätzung der Mitarbeiterin des Jugendamtes, dass eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Kindesmutter nicht zu einer Verbesserung der Lebenssituation der Kinder führen würde. Den Äußerungen der Kinder zur Frage der Ausübung der elterlichen Sorge ist daher kein entscheidendes Gewicht beizumessen. Ohnehin waren diese im Laufe des Verfahrens durchaus schwankend und nicht konstant. Bei der Anhörung durch den Senat vertrat D die Ansicht der Kindesmutter und sprach sich für deren alleinige Sorge aus, während sich K für die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge aussprach.

Für eine Beibehaltung der elterlichen Sorge spricht in diesem Zusammenhang auch, dass die Kinder auch zum Kindesvater eine enge Bindung haben und es für sie grundsätzlich positiv ist zu wissen, dass sich beide Elternteile um sie kümmern und Verantwortung übernehmen. Dies gilt umso mehr angesichts der Erkrankung der Kindesmutter und der von den Kindern im Dezember 2012 gemachten Erfahrung, als der Kindesvater während des Klinikaufenthaltes der Kindesmutter die Betreuung beider Kinder übernommen hat.

Unter Würdigung sämtlicher Gesichtspunkte hält der Senat daher die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge für angezeigt. Eine Kommunikation scheint zwischen den Kindeseltern nach wie vor möglich, wie seit der im Jahr 2007 erfolgten Trennung über mehrere Jahre praktiziert. Der Kindesvater hat sich seit der im Oktober 2012 getroffenen Regelung zum Umfang der Telefonate zurückgenommen und hält sich an die Vereinbarung. Dass Vereinbarungen der Kindeseltern über wichtige Belange der Kinder auch aktuell möglich sind, zeigt nicht zuletzt die auf Wunsch der Kindesmutter erfolgte Handhabung während ihres Klinikaufenthaltes zum Jahresende 2012, als die Kinder für zwei Wochen beim Kindesvater lebten. Dies zeigt, dass auch seitens der Kindesmutter Vertrauen in die erzieherischen Fähigkeiten des Kindesvaters besteht. Hinzu kommt, dass zwischen den Kindeseltern in sorgerechtsrelevanten Themen bislang immer Einigkeit geherrscht hat und auch zukünftig insoweit kein Konfliktpotential erkennbar ist. Der Kindesvater hat im Senatstermin signalisiert, dass er die – noch zu treffende – Wahl der Kindesmutter hinsichtlich der Schule für K unterstützen wird und dass er ebenfalls deren Entscheidung mitträgt, dass D psychologisch behandelt wird. Der Kindesmutter ist es daher auch unter Berücksichtigung der von ihr angeführten Gesichtspunkte zuzumuten, weiterhin im Interesse des Kindeswohls die Kooperation mit dem Kindesvater zu suchen; dieser ist gehalten, seine Positionen gegenüber der Mutter in maßvoller Weise geltend zu machen. Beiden Elternteilen ist anzuraten, der Anregung des Jugendamtes näherzutreten, gemeinsam an einem Mediationsverfahren teilzunehmen, um die Möglichkeiten der Kommunikation zwischen ihnen zu verbessern.

c)

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war nicht angezeigt. Anhaltspunkte für Maßnahmen nach § 1666 BGB wegen Gesundheitsgefährdung der Kinder im Haushalt der Kindesmutter sind nach den Äußerungen des Verfahrensbeistandes und der Mitarbeiterin des Jugendamtes und auch nach dem Eindruck des Senats bei der Anhörung der Kinder nicht gegeben. Auch vom Kindesvater, der i. Ü. keine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts anstrebt, wird dergleichen nicht behauptet. Für die vom Senat zu treffende Entscheidung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB, die sich nicht auf die Frage des Aufenthaltsbestimmungsrechts, sondern nur darauf bezieht, ob eine Konsensfindung über Kindeswohlbelange zwischen den Eltern möglich bzw. der Kindesmutter zumutbar ist, bedarf es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht, da der Senat diese Frage aus eigener Sachkunde beurteilen kann.

d)

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 70 Abs. 2 FamFG. Der Senat entscheidet vielmehr über einen Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

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