OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.02.2016 – 6 UF 8/16

Soll eine Maßnahme nach § 1666 BGB allein auf Defizite bei der Erziehungsfähigkeit der Eltern und ungünstige Entwicklungsbedingungen gegründet werden, so müssen wegen Art. 6 Abs. 2 und 3 GG die dem Kind deshalb drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret benannt, im Lichte des grundrechtlichen Schutzes vor der Trennung des Kindes von seinen Eltern bewertet und zudem besonders sorgfältig begründet werden, weshalb die Risiken für die geistige und seelische Entwicklung des Kindes die Grenze des Hinnehmbaren überschreiten (siehe hierzu BVerfG FamRZ 2015, 112).

Liegen Gründe für einen – über die Verbleibensanordnung hinausgehenden – Sorgerechtseingriff nicht vor, so verstößt der Eingriff in weitere Teilbereiche der elterlichen Sorge auch gegen den verfassungsrechtlichen Auftrag, stets eine Rückkehroption für das Kind offen zu halten.

Holt das Gericht zur Beantwortung der Frage einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr ein Sachverständigengutachten ein, so ist dieses hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Begründung, inneren Logik und Schlüssigkeit zu prüfen (vgl. dazu BGH FamRZ 2013, 288 und 1648). Die Ausführungen im Gutachten dürfen keine sachfremden Erwägungen erkennen lassen (dazu BVerfG, FamRZ 2015, 112); sämtliche Herleitungen müssen nachvollziehbar begründet sein (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 9. September 2015 – 6 UF 74/15 –; Beschluss des 9. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 27. Januar 2016 – 9 UF 54/14 –, jeweils m.w.N.). Dabei ist es insbesondere zuvörderst Aufgabe der Gerichte, die Feststellungen des Sachverständigen eigenständig auf ihre rechtliche Relevanz hin auszuwerten. Ein im Rahmen eines Verfahrens nach §§ 1666 f. BGB eingeholtes Sachverständigengutachten kann daher nur Entscheidungsgrundlage sein, wenn und soweit darin die verfassungsrechtlich gebotene Frage nach einer nachhaltigen, gegenwärtigen Gefährdung des Kindeswohls ausdrücklich oder zumindest der Sache nach gestellt und beantwortet worden ist (BVerfG FamRZ 2015, 112). Die Annahme einer inzidenten Bejahung einer solchermaßen nachhaltigen, gegenwärtigen Kindeswohlgefahr im Gutachten wird dabei fern liegen, wenn schon der Gutachtenauftrag nicht konkret auf diese Frage ausgerichtet, sie dem Gutachter also nicht als Maßstab seiner Tätigkeit vorgegeben worden ist.

Auf eine in der Vergangenheit liegende Gefährdungslage lässt sich eine Trennung von Kind und Eltern grundsätzlich nicht stützen, weil es auch dann an der verfassungsrechtlich geforderten Gegenwärtigkeit einer konkreten Gefahr fehlt (BVerfG FF 2014, 295).

Eine lediglich latente Gefahrensituation erfüllt die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine aktuelle Kindeswohlgefährdung gerade nicht, sondern hält sich noch in dem Rahmen, in dem ein Kind das Erziehungsverhalten seines Elternteils, auch wenn es dadurch vermeintliche oder tatsächliche Nachteile zu erleiden droht, hinzunehmen hat.

Er ist nach höchstrichterlicher und Senatsrechtsprechung unzulässig, den Eltern zu einer Psychotherapie zu verpflichten (BVerfG FamRZ 2011, 179; Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2009 – 6 UF 48/09 –, NJW-RR 2010, 146; Völker/Clausius, FamRMandat – Sorge- und Umgangsrecht, 6. Aufl., § 1, Rz. 200 m.w.N.; vgl. auch BGH FamRZ 2010, 720). Denn die insoweit allein in Betracht kommende Vorschrift des § 1666 BGB erlaubt nur Eingriffe in das Sorgerecht des betroffenen Elternteils; die Therapieauflage betrifft indessen nicht das sorgerechtliche Band, das ihn mit seinem Kind verbindet.

SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT
BESCHLUSS
In der Familiensache

betreffend gerichtliche Maßnahmen nach §§ 1666, 1666 a BGB für
N. G.,
– Verfahrensbeiständin: Rechtsanwältin –

weiter beteiligt:
1. Mutter: J. G.,
Beschwerdeführerin,
– Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin –

2. Jugendamt: Regionalverband

3. Ergänzungspfleger: Regionalverband

hat der 6. Zivilsenat – Senat für Familiensachen I – des Saarländischen Oberlandesgerichts durch die Vizepräsidentin des Oberlandesgerichts Sandhöfer als Vorsitzende und die Richter am Oberlandesgericht Sittenauer und Völker am 22. Februar 2016

b e s c h l o s s e n :

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – in Saarbrücken vom 30. November 2015 – 128 F 38/15 SO – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Verbleib des beteiligten Kindes N. G., geboren am 21. Dezember 2014, bei seinen Bereitschaftspflegeeltern, Herrn und Frau G., wird bis zum 22. Mai 2016 angeordnet.

Die Kindesmutter wird verpflichtet, beim Jugendamt des Regionalverbandes unverzüglich einen Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe zu stellen und diese für den Fall und sofort ab der Gewährung in Anspruch zu nehmen.

2. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Außervollzugsetzung jenes Beschlusses wird hierdurch gegenstandslos.

3. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben; zweitinstanzlich entstandene notwendige Aufwendungen werden nicht erstattet. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszuges bewendet es bei der Kostenentscheidung des Familiengerichts.

4. Der Wert der Beschwerdeinstanz wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

5. Der Beschwerdeführerin wird mit Wirkung vom 9. Februar 2016 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin pp. bewilligt.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin (fortan: Mutter) ist die Mutter des am 21. Dezember 2014 geborenen beteiligten Kindes N., für das eine rechtliche Vaterschaft nicht besteht.

In der Zeit nach der Geburt N.s stellte die regelmäßig in den Haushalt der Mutter kommende Nachsorgehebamme eine unzureichende Gewichtszunahme N.s fest. Sie brachte N. daraufhin am 16. Januar 2015 in die Kinderklinik des Klinikums S. (Winterberg-Klinikum). Bei Aufnahme stellte die Assistenzärztin Sa. ausweislich des vorläufigen Arztbriefs vom 20. Januar 2015 einen schlechten Pflege- und dystrophen Ernährungszustand des Kindes und – ihrer Einschätzung nach – artifiziell bedingte Verletzungen fest, die für sie den Verdacht einer Vernachlässigung des Kindes begründeten. Im endgültigen Arztbrief des Prof. Dr. M. vom 20. Januar 2015 ist von einem schlechten Pflegezustand des Kindes keine Rede mehr.

Das Jugendamt nahm N. am 21. Januar 2015 in Obhut; seitdem wohnt er in der Bereitschaftspflegefamilie G.. Aufgrund einer Gefährungsanzeige des Jugendamts vom Folgetag leitete das Familiengericht das Eilverfahren 128 F 22/15 EASO ein.

Im Erörterungstermin vom 2. Februar 2015 hat das Familiengericht das vorliegende Hauptsacheverfahren eingeleitet, dem Kind eine Verfahrensbeiständin bestellt und die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Erziehungsfähigkeit der Mutter „bzw. ob zum Wohle des Kindes Maßnahmen ergriffen werden sollen und müssen, ggf. welche“, angeordnet. Die Mutter hat bis zu dessen Erstellung der Inobhutnahme des Kindes zugestimmt, worauf das einstweilige Anordnungsverfahren abgeschlossen worden ist.

Die als Sachverständige ausgewählte Dipl.-Psychologin Dr. U. hat ihr schriftliches Gutachten unter dem 9. März 2015 erstattet; dieses wird in Bezug genommen. Die Gutachterin hat bei der Mutter eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung (impulsiver Typ) diagnostiziert, die sich auf der Grundlage mehrfacher tiefgehender Traumatisierungen seit frühester Kindheit entwickelt habe. Eine Verbesserung der Symptome sei therapeutisch möglich; dies bedürfe jedoch einer kontinuierlichen störungsspezifischen Arbeit, die voraussichtlich über mehrere Jahre erforderlich sein  werde. Zur Umsetzung der Therapieempfehlung werde die Mutter professionelle Hilfe benötigen, „weshalb ihr idealerweise die Familienhilfe Frau B. unterstützend zur Seite
stehen könnte“. Eine Rückführung N.s in den Haushalt der Mutter sei derzeit nicht zu empfehlen, selbstverständlich sollten aber die Umgangskontakte zwischen Mutter und Kind weitergeführt werden.

Die Mutter hatte währenddessen und bis 8. Mai 2015 regelmäßig begleiteten Umgang mit N., den sie sodann mit sinngemäßem Verweis auf die Belastung, welche mit der mit dem Ende eines jeden Umgangs einhergehenden Trennung von N. einhergehe, ausgesetzt hat. Seither und bis heute hat sie lediglich noch einmal am 13. November 2015 Umgang mit N. ausgeübt. Hingegen haben die Großeltern mütterlicherseits des Kindes mit N. alle vier Wochen Umgang gepflegt.

Am 15. Mai 2015 hat das Familiengericht im Hinblick auf von der Mutter gegen jenes Gutachten erhobene Angriffe dessen Ergänzung sowie die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens dazu angeordnet, ob die Mutter an einer emotionalinstabilen Persönlichkeitsstörung leide bzw. an einem psychiatrischen Erscheinungsbild, das auch unter Einbeziehung familiärer Hilfestellung und einer ambulanten Familienhilfe eine unmittelbare Versorgung des Kindes nicht zulasse, und den Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dr. G. zum
Sachverständigen bestimmt. Im Erörterungstermin vom 27. Juli 2015 in der Parallelsache 128 F 197/15 HK, die unter der Geschäftsnummer 6 UF 10/16 ebenfalls beim Senat anhängig ist, hat das Familiengericht u.a. Dr. G. und Dr. U. persönlich angehört. Dr. G. hat – in der Folgezeit unwidersprochen – erklärt, er habe die Mutter zwecks Diagnostik für maximal eine Woche in die Klinik Sonnenberg einweisen wollen, was diese abgelehnt habe, weil sie nicht habe eingesperrt sein wollen. Eine ambulante Diagnostik würde mehrere Monate beanspruchen; diese hat
die Mutter in der Nachfolge abgelehnt. Dr. U. hat erklärt, dass sie – abweichend von der Sicht der Mutter – als approbierte Psychotherapeutin durchaus Diagnosen stellen könne, es sich aber in der Tat bei ihrer Diagnose um eine Verdachtsdiagnose handele, die allerdings für ihr Gutachten auch keine Rolle gespielt habe.

Mit Schreiben vom 7. September 2015 hat das Winterberg-Klinikum die endgültige Fotodokumentation über das Kind vorgelegt, die anlässlich dessen stationären Aufenthalts vom 16. bis 21. Januar 2015 gefertigt worden war und auf die verwiesen wird.

Im Erörterungstermin vom 4. November 2015 hat das Familiengericht den früheren Lebensgefährten der Mutter, Herrn Sch., die im Winterberg-Klinikum tätige Kinderärztin Dr. F. und die Großmutter mütterlicherseits des Kindes – Frau L. – als Zeugen vernommen; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom selben Tage Bezug genommen.

Zuletzt hat das Jugendamt – von der Verfahrensbeiständin unterstützt – beantragt, der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge sowie das Recht zur Antragstellung nach §§ 27 ff. SGB VIII für N. zu entziehen und diese Sorgerechtsteilbereiche dem Jugendamt zu übertragen. Die Mutter ist dem Antrag entgegengetreten und hat die Rückkehr N.s zu ihr sowie die Einrichtung einer sozialpädagogischen Familienhilfe in ihrem Haushalt erstrebt.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 30. November 2015, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge sowie das Recht zur Antragstellung nach §§ 27 ff. SGB VIII für N. entzogen, insoweit Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Jugendamt zum Ergänzungspfleger
bestellt.

Mit ihrer Beschwerde, für die sie um Verfahrenskostenhilfe nachsucht, verfolgt die Mutter ihr erstinstanzliches Verfahrensziel weiter. Mit am 3. Februar 2016 beim Senat eingegangenem Antrag begehrt die Mutter ferner die Außervollzugsetzung des angegriffenen Beschlusses.

Das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin bitten um Zurückweisung der Beschwerde sowie des Antrags auf Außervollzugsetzung.

Der Senat hat die Bereitschaftspflegeeltern N.s angehört; diese haben erklärt, sich nicht äußern zu wollen.

Dem Senat haben die Akten 128 F 22/15 EASO und 128 F 197/15 HK des Amtsgerichts Saarbrücken sowie die des einstweiligen Anordnungsverfahrens 6 UF 18/16 des Saarländischen Oberlandesgerichts vorgelegen. Gegenstand letzteren Verfahrens ist ein Eilantrag der Mutter gewesen, es dem Jugendamt zu untersagen, N. – wie nach Erlass des angegriffenen Beschlusses von diesem beabsichtigt – von einer Bereitschaftspflegefamilie in eine neue (Dauer-) Pflegefamilie zu verbringen. Nachdem der vom Senat angehörte Ergänzungspfleger des Kindes zugesagt hat, N. jedenfalls nicht vor Ende März 2016 in die Dauerpflege zu geben, hat die Mutter ihren Eilantrag zurückgenommen.

II.

Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Mutter hat in der Sache einen erheblichen Teilerfolg und führt nach Maßgabe der Entscheidungsformel zu einer weitreichenden Abänderung des angegangenen Erkenntnisses.

Soweit das Familiengericht es verfahrensfehlerhaft unterlassen hat, N.s Bereitschaftspflegeeltern anzuhören (§ 161 Abs. 2 FamFG), hat der Senat diesen Verfahrensfehler im zweiten Rechtszug geheilt. Eine förmliche Beteiligung der Pflegeeltern nach § 161 Abs. 1 S. 1 FamFG ist hingegen bei den gegebenen Einzelfallumständen bei insoweit gebotener kindeswohlzentrierter Betrachtungsweise (siehe dazu Senatsbeschlüsse vom 5. Dezember 2013 – 6 UF 132/13 –, ZKJ 2014, 117, und vom 13. November 2013 – 6 UF 181/13 –, FamRZ 2014, 598; OLG Hamburg FamRZ 2015, 2188; OLG Bremen FamRZ 2014, 414) nicht angezeigt, nachdem die Pflegeeltern zum einen haben mitteilen lassen, dass sie im vorliegenden Verfahren keine Stellungnahme abgeben werden, zum anderen weder diese noch die Beteiligten einen weiteren dortigen Verbleib N.s erstreben.

Der vom Familiengericht angeordnete Teilentzug des mütterlichen Sorgerechts für N. kann keinen Bestand haben.

Nach § 1666 Abs. 1 BGB kann das Familiengericht, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, den Sorgeberechtigten das Sorgerecht teilweise oder vollständig entziehen. Nach § 1666 a Abs. 1 S. 1 BGB sind Maßnahmen, die mit einer Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden sind, nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.

Bei der Beurteilung, ob und wenn ja welche Maßnahmen nach diesen – vom Bundesverfassungsgericht für verfassungsrechtlich unbedenklich befundenen (vgl. BVerfGE 60, 79; BVerfG ZKJ 2011, 133; FamRZ 2010, 528 und 713) – Vorschriften erforderlich sind, ist der besondere Schutz zu beachten, unter dem die Familie sowohl nach dem Grundgesetz (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG) als auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) und der UNKinderrechtskonvention (Art. 9 Abs. 1 UNKRK) steht, deren beider Normen die nationalen Gerichte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu beachten haben und als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten des Grundgesetzes dienen (vgl. BVerfGE 111, 307).

Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt, wobei dieses „natürliche Recht“ den Eltern nicht vom Staate verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts.

Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern als dem stärksten Eingriff in das Elternrecht geht, ist dieser allein unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat jedoch dazu, auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG zukommenden Wächteramtes die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen. Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramtes des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen. Vielmehr zählen die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes. Dabei wird auch in Kauf genommen, dass Kinder durch den Entschluss der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleiden. Diese primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen ihres Kindes grundsätzlich am besten von ihnen wahrgenommen werden. Das elterliche Fehlverhalten muss daher vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der oder einer Rückkehr in die Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre. Dies ist nur der Fall, wenn bereits ein Schaden eingetreten ist oder wenn eine Gefahr gegenwärtig und in einem solchen Maß vorhanden ist, dass sich bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Eine mittel- oder langfristige, mithin lediglich künftige, latente Gefährdung des Kindeswohls begründet hingegen noch keine nachhaltige Kindeswohlgefahr im verfassungsrechtlichen Sinne (siehe hierzu insbesondere BVerfG FF 2014, 295). Soll zudem eine Maßnahme nach § 1666 BGB allein auf Defizite bei der Erziehungsfähigkeit der Eltern und ungünstige Entwicklungsbedingungen gegründet werden, so müssen wegen Art. 6 Abs. 2 und 3 GG die dem Kind deshalb drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret benannt, im Lichte des grundrechtlichen Schutzes vor der Trennung des Kindes von seinen Eltern bewertet und zudem besonders sorgfältig begründet werden, weshalb die Risiken für die geistige und seelische Entwicklung des Kindes die Grenze des
Hinnehmbaren überschreiten (siehe hierzu BVerfG FamRZ 2015, 112).

Wenn Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen und damit zugleich die Trennung der Kinder von ihnen gesichert oder ermöglicht wird, darf dies zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Dieser gebietet es, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Die anzuordnende Maßnahme muss daher zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung effektiv geeignet und erforderlich sein. Die Erforderlichkeit  beinhaltet dabei das Gebot, aus den zur Erreichung des Zweckes der Gefährdung geeigneten Mitteln das mildeste, die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen. Der Staat muss daher nach Möglichkeit zunächst versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. zum Ganzen BVerfG Beschluss vom 20. Januar 2016 – 1 BvR 2742/15 –, juris; FamRZ 2015,112; 2014, 1266; 2012, 938 und 1127 m.z.w.N.; NJW 2014, 2936; FF 2014, 295; BGH FamRZ 2014, 543; FF 2012, 67 m. Anm. Völker; BGH FamRZ 2010, 720; Senatsbeschlüsse vom 18. Juni 2015 – 6 UF 20/15 –, NZFam 2015, 1076, und vom 5. Dezember 2013 – 6 UF 132/13 –, ZKJ 2014, 117 m.z.w.N.; Beschluss des 9. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 2. Februar 2016 – 9 UF 51/15 –).

Begehren Eltern die Rückführung ihres bereits fremduntergebrachten Kindes, kann eine solche Gefahr für das Kind gerade aus der Rückführung resultieren. In einem solchen Fall ist es verfassungsrechtlich geboten, bei der Kindeswohlprüfung nach §§ 1666, 1666 a BGB die Tragweite einer Trennung des Kindes von seinen bisherigen Bezugspersonen einzubeziehen und die Erziehungsfähigkeit der Ursprungsfamilie auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer eventuellen Traumatisierung des Kindes gering zu halten. Das Kindeswohl gebietet es, die neuen, gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu berücksichtigen und das Kind aus seiner neuen Obhut nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes noch hinnehmbar sind (BVerfG NJW 2014, 2936; FamRZ 2014, 1266; 2010, 865; 2000, 1489; Senatsbeschlüsse vom 18. Juni 2015 – 6 UF 20/15 –, NZFam 2015, 1076, vom 31. Mai 2012 – 6 UF 20/12 –, FamRZ 2013, 389, und vom 13. Oktober 2011 – 6 UF 108/11 –, FamRZ 2012, 463, jeweils m.w.N.). Allerdings macht es einen Unterschied, ob das Kind bei Dauerpflegeeltern oder aber in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht ist. Denn lebt ein Kind bei einer Bereitschaftspflegefamilie und soll es demnächst in eine Dauerpflegefamilie überwechseln, so steht ein Wechsel der Bezugspersonen und des Betreuungsumfelds ohnehin bevor. Bei dieser Sachlage kommt dem Bindungsabbruch grundsätzlich geringere Bedeutung zu als bei der Rückführung aus einer Dauerpflegefamilie (vgl. BVerfG NJW 2014, 2936; FamRZ 2014, 907 und 1266).

Bedarf es dennoch einer – ggf. vorübergehenden – Aufrechterhaltung der Trennung von Kind und Eltern, so muss ferner der Erlass einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB – als im Verhältnis zu einem Sorgerechtsentzug oder dessen Aufrechterhaltung milderes Mittel – erwogen werden (BVerfG FamRZ 1989, 145; BGH FamRZ 2014, 543). Denn wenn sich die Gefährdung des Kindeswohls allein daraus ergibt, dass das Kind zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausgenommen und zu seinen Eltern zurückgeführt werden soll, liegt in der Regel noch kein hinreichender Grund vor, den Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen. Vielmehr reicht dann in der Regel die Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung aus. Zwar kann es in Einzelfällen denkbar sein, dass eine Verbleibensanordnung zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung nicht gleichermaßen geeignet ist wie der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts oder der gesamten elterlichen Sorge. Dies wird jedoch nur ausnahmsweise der Fall sein, etwa wenn die Eltern das Pflegeverhältnis dergestalt störend beeinträchtigen, dass dies wiederum eine Gefährdung des Kindeswohls zur Folge hat, oder wenn eine Rückkehr des Kindes dauerhaft ausgeschlossen ist, weil Misshandlungen durch die Eltern drohen. Denn in allen anderen Fällen ist die Verbleibensanordnung zur Sicherstellung des weiteren Aufenthalts des Kindes bei den Pflegeeltern nicht weniger geeignet, zumal die Pflegeeltern regelmäßig aufgrund der ihnen durch § 1688 BGB verliehenen rechtlichen Befugnisse ausreichend handlungsfähig sind: Nach § 1688 Abs. 1 S. 1 BGB ist die Pflegeperson in  Angelegenheiten des täglichen Lebens berechtigt, selbst Entscheidungen zu treffen und den Inhaber der elterlichen Sorge in solchen Angelegenheiten zu vertreten. Zu den Angelegenheiten des täglichen Lebens gehört auch die gewöhnliche medizinische Versorgung. Nach § 1688 Abs. 1 S. 3 BGB in Verbindung mit § 1629 Abs. 1 S. 4 BGB besteht ferner bei Gefahr im Verzug die Berechtigung der Pflegeperson, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind; der Sorgerechtsinhaber ist anschließend über die vorgenommenen Handlungen zu unterrichten. Eine weitere Absicherung erhalten die Pflegeeltern durch § 1688 Abs. 4 BGB, wonach ihre Entscheidungsbefugnisse nach § 1688 Abs. 1 BGB nicht durch den Inhaber der elterlichen Sorge eingeschränkt werden können, wenn sich das Kind aufgrund einer gerichtlichen Verbleibensanordnung bei der Pflegeperson befindet.

§ 1632 Abs. 4 BGB lässt – schließlich – nicht nur eine Verbleibensanordnung zu, deren Endpunkt noch nicht abzusehen ist, sondern auch eine Lösung, die im Wege eines gleitenden Übergangs auf eine Rückführung des Kindes zu seinen Eltern nach einer Umstellungsphase gerichtet sind. Liegen daher Gründe für einen – über die Verbleibensanordnung hinausgehenden – Sorgerechtseingriff nicht vor, so verstößt der Eingriff in weitere Teilbereiche der elterlichen Sorge auch gegen den verfassungsrechtlichen Auftrag, stets eine Rückkehroption für das Kind offen zu halten. Mit dem Eingriff in weitere Teilbereiche der elterlichen Sorge wird jedoch das Pflegeverhältnis gerade weiter verfestigt und eine Rückführung zu den Eltern erschwert (siehe zum Ganzen BGH FamRZ 2014, 543; Senatsbeschlüsse vom 18. Dezember 2015 – 6 UF 140/15 – und vom 18. Juni 2015 – 6 UF 20/15 –, NZFam 2015, 1076; vgl. auch Beschluss des 9. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 22. Dezember 2015 – 9 UF 57/15 –). Sind die Eltern nicht ohne Weiteres in der Lage, den erzieherischen Herausforderungen gerecht zu werden, vor die sie im Fall der – sei es auch zeitlich gestreckten – Rückkehr eines über längere Zeit fremduntergebrachten Kindes gestellt sind, sind sie hierbei in besonderem Maße durch öffentliche Hilfen zu unterstützen (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Verpflichtung des Staates, die Eltern bei der Rückkehr ihres Kindes durch öffentliche Hilfen zu unterstützen, kann in einer solchen Konstellation nach Art und Maß über das hinausgehen, was der Staat üblicherweise zu leisten verpflichtet ist (BVerfG FamRZ 2014, 1266; BGH FamRZ 2014, 543).

Holt das Gericht zur Beantwortung der Frage einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr ein Sachverständigengutachten ein, so ist dieses hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Begründung, inneren Logik und Schlüssigkeit zu prüfen (vgl. dazu BGH FamRZ 2013, 288 und 1648). Die Ausführungen im Gutachten dürfen keine sachfremden Erwägungen erkennen lassen (dazu BVerfG, FamRZ 2015, 112); sämtliche Herleitungen müssen nachvollziehbar begründet sein (Senatsbeschluss vom 9. September 2015 – 6 UF 74/15 –; Beschluss des 9. Zivilsenats des
Saarländischen Oberlandesgerichts vom 27. Januar 2016 – 9 UF 54/14 –, jeweils m.w.N.). Dabei ist es insbesondere zuvörderst Aufgabe der Gerichte, die Feststellungen des Sachverständigen eigenständig auf ihre rechtliche Relevanz hin auszuwerten. Ein im Rahmen eines Verfahrens nach §§ 1666 f. BGB eingeholtes Sachverständigengutachten kann daher nur Entscheidungsgrundlage sein, wenn und soweit darin die – wie oben dargestellt – verfassungsrechtlich gebotene Frage nach einer nachhaltigen, gegenwärtigen Gefährdung des Kindeswohls ausdrücklich oder zumindest der Sache nach gestellt und beantwortet worden ist (BVerfG FamRZ 2015, 112). Die Annahme einer inzidenten Bejahung einer solchermaßen nachhaltigen, gegenwärtigen Kindeswohlgefahr im Gutachten wird dabei fern liegen, wenn schon der Gutachtenauftrag nicht konkret auf diese Frage ausgerichtet, sie dem Gutachter also nicht als Maßstab seiner Tätigkeit vorgegeben worden ist.

Diesen strengen verfassungs- und einfachrechtlichen Maßstäben hält die angegangene Entscheidung nicht stand, soweit darin der Mutter das Sorgerecht für N. teilweise entzogen worden ist, statt unter Erlass einer vorübergehenden Verbleibensanordnung die Rückkehr des Kindes in den mütterlichen Haushalt anzubahnen und die Mutter zu verpflichten, einen Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Erziehung in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe zu stellen sowie diese für den Fall – und sofort ab – der Gewährung in Anspruch zu nehmen. Denn
weitergehende Maßnahmen als diese sind vorliegend unverhältnismäßig.

Der Senat vermag der Auffassung des Familiengerichts, die Voraussetzungen für das Kind von der Mutter trennende Maßnahmen nach § 1666 a BGB seien gegeben, nicht beizutreten. Denn das Familiengericht hat das Vorliegen einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung für den Fall einer Rückkehr des Kindes zur Mutter samt deren besonders intensiven Unterstützung durch eine sozialpädagogische Familienhilfe nicht belastbar genug begründet. Dessen unbeschadet hat auch der Senat keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, um dies annehmen zu können.

Im angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht seine Beurteilung – wie auch die Sachverständige – tragend weder auf die anfängliche Gedeihstörung noch auf die festgestellten Verletzungen des Kindes gestützt. Dies findet die Billigung des Senats. Erstere wäre erkennbar unschwer durch intensive ambulante Hilfen beherrschbar gewesen. Hinsichtlich der Verletzungen kann nicht mit der für Maßnahmen nach § 1666 BGB ausreichenden Beweisdichte (siehe dazu – Feststellungslast des Staates – BVerfG FamRZ 2009, 944; BGH FamRZ 2010, 720) festgestellt werden, dass die Mutter diese in einem Ausmaß zu verantworten gehabt hat, das Maßnahmen nach § 1666 BGB rechtfertigen würde. Weitere diesbezüglich erfolgversprechende Ermittlungsansätze hat das Familiengericht von den Beteiligten unbeanstandet und – auch unter Würdigung der diesbezüglichen Erhebungen der Sachverständigen (S. 6 f., 22 f. des Gutachtens) rechtsbedenkenfrei verneint. Beide genannten Umstände betreffend kommt hinzu, dass es sich – ein etwaiges Fehlverhalten der Mutter einmal unterstellt – um Vorgänge gehandelt hätte, die nunmehr über ein Jahr zurückliegen. Auf eine in der Vergangenheit liegende Gefährdungslage lässt sich indes eine Trennung von Kind und Eltern grundsätzlich nicht stützen, weil es auch dann an der verfassungsrechtlich geforderten Gegenwärtigkeit einer konkreten Gefahr fehlt (BVerfG FF 2014, 295). Im vorliegenden Fall springt diesbezüglich vor allem ins Auge, dass N. Nahrung nicht mehr über Fläschchen verabreicht werden muss und sich die Mutter von ihrem damaligen Lebensgefährten schon lange getrennt hat.

Das Familiengericht hat seinen Sorgerechtsteilentzug daher – im Ausgangspunkt folgerichtig, wenngleich ohne Benennung der insoweit maßgeblichen, vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Grundsätze – allein auf die aus seiner Sicht nicht ausreichende Erziehungsfähigkeit der Mutter gestützt.

Zur Begründung dessen hat es – breit – auszugsweise das Gutachten der Sachverständigen Dr. U. wiedergegeben und sich diesem sodann – ohne dass eine kritische Prüfung des Gutachtens erkennbar wird – in einem Satz angeschlossen. Dies genügt den Anforderungen an eine tragfähige Begründung der vom Familiengericht angenommenen Kindeswohlgefährdung auch bei hiervon unabhängiger Würdigung des Sachverständigengutachtens durch den Senat nicht.

Denn bereits die vom Familiengericht der Sachverständigen vorgegebene Fragestellung hat eine Klärung der von Verfassungs wegen zu ermittelnden Umstände nicht auf den Weg gebracht. Wenn und weil die Beweisfrage der Erziehungsfähigkeit der Mutter damit verknüpft worden ist, „ob zum Wohle des Kindes Maßnahmen ergriffen werden sollen und müssen, ggf. welche“, so hat dies – insbesondere für die Gutachterin – nicht erkennen lassen, dass Ziel ihrer Begutachtung die Feststellung von Tatsachen sein sollte, von denen – rechtlich – auf eine nachhaltige, insbesondere auch gegenwärtige, eine Fortdauer der Trennung von Kind und Herkunftsfamilie rechtfertigende Kindeswohlgefährdung geschlossen werden sollte.

Der mithin offenbare Mangel der Beweisanordnung hat sich im schriftlichen Gutachten der Sachverständigen fortgesetzt. Zwar hat die Sachverständige aus der gerichtlichen Beweisfrage u.a. die psychologische Fragestellung abgeleitet, ob bei der Mutter Einschränkungen bestehen, die das Wohl des Kindes gefährden (S. 5 des Gutachtens). Indessen hat die Sachverständige zum einen diese Fragestellung in ihrer nachfolgenden Darstellung nicht in Richtung gerade einer aktuellen Gefährdung – die eine Aufrechterhaltung der Trennung von Mutter und Kind legitimiert – konkretisiert, zum anderen erschöpfen sich ihre Feststellungen in zu großem Umfang in nicht ausreichend durch Tatsachen belegten, lediglich vermutenden Schlussfolgerungen.

So führt die Gutachterin aus, die Mutter möge in der Versorgung des Kindes in weiten Bereichen durchaus kompetent erscheinen. Diese scheinbare Kompetenz werde jedoch nicht über alle relevanten Situationen und nicht über verschiedene Stimmungslagen hinweg generalisiert, sondern sei nach „Einschätzung“ der Referentin extremen Schwankungen unterworfen. Insbesondere in der relevanten Mutter-Kind-Beziehung könne die zeitweise Entspannung wieder jäh und unerwartet zusammenbrechen. Dies „sei oft der Fall“, wenn beispielsweise der geplante Ablauf gestört werde oder der Säugling bzw. das Kleinkind durch permanentes Schreien der Mutter vorführe, nicht ausreichend zu sein, und so die dysfunktionalen Schemata (vermeintlicher) Wertlosigkeit aktiviert würden. Impulsive Handlungen gegen das Kind seien in solchen Überforderungssituationen „nicht ausgeschlossen“. In besonderen Stresssituationen könnten Kontrollstrategien versagen und die Mutter würde von ihren Assoziationen und Gefühlen überflutet. Sie reagiere dann „vermutlich“ mit Weglaufen oder mit Dissoziationen, um sich vor der Kritik und Konfrontationen bzw. schmerzhaften Erinnerungen zu schützen. In Bezug auf N. sei die Mutter in solchen Situationen nicht berechenbar (S. 32 des Gutachtens).

Diese Ausführungen der Sachverständigen genügen jedenfalls deswegen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Annahme gerade einer aktuellen, eine Trennung von Kind und Elternteil erlaubenden Kindeswohlgefährdung, weil die Gutachterin ihre Bewertung in einen – von ihr erneut lediglich vermuteten – Zusammenhang mit den Verletzungen des Kindes und die mangelnde Gewichtszunahme gestellt hat (S. 33 des Gutachtens), welche indes beide – wie dargestellt – nicht in dem für ein Verfahren nach § 1666 BGB ausreichenden Ausmaß der Mutter als eigenes erhebliches Verschulden zugerechnet werden können.

Auch die weitere – die Mutter-Kind-Interaktion betreffende – Beurteilung der Gutachterin lässt keinen Schluss auf eine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung zu, die eine Trennung N.s von seiner Mutter gestatten könnte. Die Sachverständige attestiert der Mutter ausdrücklich eine große Sehnsucht nach dem Kind, ein großes Bemühen um sein Wohl und den Wunsch, eine gute Mutter zu sein; zweifellos liebe sie ihren Sohn und strebe eine harmonische Beziehung mit ihm an. Es gelinge ihr phasenweise auch, einen liebevollen und aufmerksamen Kontakt zum Kind
herzustellen. Zu erkennen sei jedoch auch eine weitgehende Hilflosigkeit darüber, wie ein solcher Kontakt herzustellen sei. In weiten Teilen sei die Interaktion ohne echte Verbindung geblieben. Die Gutachterin „gehe eher davon aus“, dass es im Leben der Mutter kein Modell für intuitives und sensitives Fürsorgeverhalten gegeben habe und sie diese Fähigkeiten nur unzureichend ausgebildet habe. Sie gehe „wahrscheinlich“ davon aus, dass ein Tragen des Kindes mit dem Rücken zu ihr und mit einem der Welt zugewandten Gesicht des Kindes interessant für N. sei. Ihr Bedürfnis nach einem engen und intimen Kontakt und gegenseitigem Austausch sei wenig ausgeprägt (S. 33 f. des Gutachtens).

Auch diese Ausführungen lassen den Schluss auf eine akute, eine Trennung von Mutter und Kind zulassende Kindeswohlgefährdung nicht zu; allenfalls zeigen sie – zusammengenommen mit den übrigen Feststellungen der Sachverständigen – die Möglichkeit auf, dass es in Zukunft zu Störungen in der Entwicklung des Kindes kommen könnte. Eine solche, lediglich latente Gefahrensituation erfüllt indes – wie dargestellt – die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine aktuelle Kindeswohlgefährdung gerade nicht, sondern hält sich noch in dem Rahmen, in dem ein Kind das Erziehungsverhalten seines Elternteils, auch wenn es dadurch  vermeintliche oder tatsächliche Nachteile zu erleiden droht, hinzunehmen hat.

Dass die Gutachterin – belastbar – allenfalls eine mittelfristig mögliche Kindeswohlgefährdung dargelegt hat, zeigt sich auch in ihren weiteren Ausführungen: Der Mutter werde es „vermutlich“ nur unzureichend gelingen, sich in die Welt des Kindes einzufühlen und sich N. „durchgängig“ liebevoll zuzuwenden. Es bestehe die deutliche Gefahr, dass die Mutter-Kind-Beziehung von der Ambivalenz zwischen fürsorglichem Verhalten und einer „gewissen“ Feindseligkeit bei vermeintlichem Fehlverhalten des Kindes geprägt sein werde. Mit zunehmender
Autonomieentwicklung des Kindes würden Ängste [der Mutter] des Verlassenwerdens wieder aktiviert, was die Verselbständigung des Kindes behindern „könnte“. Die Affektlabilität und Impulsivität der Mutter beeinflussten nicht nur die Mutter-Kind-Beziehung, sondern auch ihren Kontakt zu anderen Menschen. Die „folgenden Partnerschaften“ der Mutter würden weiterhin von heftigen Auseinandersetzungen geprägt sein und auch dem Kind nicht verborgen bleiben (S. 34 des Gutachtens).

Erneut tritt zutage, dass die künftige Entwicklung des Kindes bei der Mutter, einschließlich ihrer weiteren privaten Lebensgestaltung, gerade nicht – wie von § 1666 a BGB gefordert – ausreichend zuverlässig absehbar ist.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Mutter leider die Umgangskontakte zu ihrem Kind seit Mai 2015 praktisch eingestellt hat. Der Mutter kann allerdings – wie auch ihr heftig um N. kämpfendes Verfahrensverhalten zeigt – ihre sinngemäße Darstellung nicht widerlegt werden, dass dies auf ihrer eigenen hohen Belastung beruht, die mit dem Abschiednehmen vom Kind nach jedem Umgangskontakt einhergegangen ist. Nicht übersehen werden kann dabei auch, dass sich N. beim letzten Umgangskontakt mit der Mutter im November 2015 nach unwidersprochen gebliebener Darstellung seiner Verfahrensbeiständin in deren Bericht vom 11. Februar 2016 nach anfänglichem Zögern nach kurzer Zeit auf seine Mutter eingelassen und mit ihr gespielt hat, wobei die Mutter bei dem Kontakt freundlich und zugewandt gewesen ist. Unstreitig haben schließlich auch die Großeltern mütterlicherseits des Kindes mit N. alle vier Wochen Umgang gepflegt, was nicht ohne Bedeutung ist, weil die Großmutter die Mutter auch schon vor der  Inobhutnahme N.s im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützt hat.

Unter Wägung aller Einzelfallumstände gebietet es daher im vorliegenden Fall der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Kind zeitnah – unter Einsatz intensiver ambulanter Hilfe – zur Mutter zurückzuführen und so eine Verfestigung der Trennung beider voneinander zu verhindern. Dies gilt umso mehr, als andernfalls ohnehin der Wechsel des Kindes in eine neue Pflegefamilie – und damit ein Beziehungsabbruch – anstünde. Der Zeitpunkt für eine Rückführung des Kindes zur Mutter ist also derzeit besonders günstig, während der Vollzug des Wechsels des Kindes in Dauerpflege die Rückführungsperspektive massiv verschlechtern würde, was unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ebenfalls nicht außer Betracht bleiben kann.

Nach Maßgabe dessen erscheint dem Senat eine Übergangszeit von drei Monaten bis zur endgültigen Rückkehr N.s zur Mutter angemessen; dies entspricht im Übrigen dem Zeitrahmen, den das Jugendamt für die Überführung des Kindes von der Bereitschafts- in die Dauerpflegefamilie ungefähr veranschlagt hat. Für diese Zeit erlässt der Senat – nachdem die Mutter, wie das Parallelbeschwerdeverfahren 6 UF 10/16 belegt, die sofortige Herausgabe N.s an sie erstrebt – daher auf dem Boden von § 1632 Abs. 4 BGB eine Verbleibensanordnung. Für die Übergangszeit bedarf es auch keiner weitergehenden sorgerechtlichen Maßnahmen. Denn es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass die Mutter störend auf das Pflegeverhältnis einwirken
wird, zumal Beeinträchtigungen der Pflegebeziehung in der Vergangenheit schon deshalb nicht vorgekommen sind, weil der Mutter bislang die Adresse der Pflegeeltern N.s nicht bekanntgegeben worden war.

Während deren Dauer ist die Rückführung N.s durch sofortige Wiederaufnahme und rasche Ausweitung der Umgangskontakte mit seiner Mutter – und zwar kurzfristig auch mit Übernachtungen – besonders nachdrücklich ins Werk zu setzen. Wie ausgeführt, geht in dieser Konstellation die Verpflichtung des Jugendamts, die Mutter bei der Rückkehr ihres Kindes durch öffentliche Hilfen zu unterstützen, über das hinaus, was der Staat üblicherweise zu leisten verpflichtet ist. Dies schließt insbesondere ein, der Mutter Hilfe zur Erziehung (§ 27 SGB VIII) in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe (§ 31 SGB VIII) zu bewilligen, weswegen der Senat der Mutter – auf dem Boden von § 1666 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 BGB – zur  Auflage macht, diese beim Jugendamt zu beantragen. Soweit jugendamtsintern machbar, drängt es sich auf, der Mutter ihre frühere Familienhelferin, Frau B., zur Seite zu stellen, mit der die Mutter ausweislich der Angaben Frau B.s gegenüber der Sachverständigen (S. 18 f. des Gutachtens) bereits vormals relativ vertrauensvoll zusammengearbeitet hatte, zumal dies insoweit auch der Empfehlung der Sachverständigen entspricht (S. 34 des Gutachtens).

Selbstredend teilt der Senat die Auffassung des Familiengerichts, dass es sehr sinnvoll wäre, wenn die Mutter sich zu der von der Sachverständigen empfohlenen Psychotherapie entschließen könnte. Er ist allerdings nach höchstrichterlicher und Senatsrechtsprechung daran gehindert, dies der Mutter aufzugeben (BVerfG FamRZ 2011, 179; Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2009 – 6 UF 48/09 –, NJW-RR 2010, 146; Völker/Clausius, FamRMandat – Sorge- und Umgangsrecht, 6. Aufl., § 1, Rz. 200 m.w.N.; vgl. auch BGH FamRZ 2010, 720). Denn die insoweit allein in Betracht kommende Vorschrift des § 1666 BGB erlaubt nur Eingriffe in das Sorgerecht des betroffenen Elternteils; die Therapieauflage betrifft indessen nicht das sorgerechtliche Band, das ihn mit seinem Kind verbindet. So wünschenswert es wäre, dass die Mutter sich auf therapeutische Maßnahmen einlässt – eine über den angeordneten vorübergehenden Verbleib des Kindes bei der Bereitschaftspflegefamilie hinausgehende Trennung von Mutter und Kind rechtfertigt ihre bisherige Weigerung hierzu jedenfalls derzeit nicht. Allerdings könnte die Mutter das Risiko, dass es in der Zukunft zu einer Gefährdung N.s durch ihr Erziehungsverhalten kommen könnte, mittels Durchführung einer Psychotherapie zweifelsohne vermindern.

Nach alledem ist der angefochtene Beschluss wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich teilweise abzuändern. Hierdurch wird zugleich der Antrag der Beschwerdeführerin auf Außervollzugsetzung dieses Beschlusses gegenstandslos.

Der Senat hat nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG von der Wiederholung der bereits vom Familiengericht verfahrensfehlerfrei durchgeführten persönlichen Anhörung der Beteiligten abgesehen, weil eine erneute Vornahme weder zusätzliche entscheidungserhebliche Erkenntnisse (§ 26 FamFG) noch eine Einigung der Beteiligten hat erwarten lassen. Aus demselben Grund hat der Senat auch von einer  erneuten mündlichen Anhörung der Sachverständigen Abstand genommen, denn diese hat keinen weitergehenden Aufschluss über die hier zuvörderst rechtliche
Frage der Gegenwärtigkeit der Kindeswohlgefährdung für den Fall der angeordneten, durch intensive ambulante Hilfe begleiteten Rückführung des Kindes zu der Mutter versprochen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.

Die Wertfestsetzung folgt aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Der – kostenarmen – Mutter ist die von ihr für das Beschwerdeverfahren nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe unter hier angezeigter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen (§§ 76 Abs. 1, 78 Abs. 2 FamFG, § 114 S. 1 ZPO).

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst (§ 70 FamFG).

gez. Sandhöfer Sittenauer Völker

Vorinstanz
AG Saarbrücken – 128 F 38/15 SO

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