Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29.12.2017 – 9 UF 54/17
Leitsätze:
Im Verfahren nach § 1671 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 BGB ist ein Kind regelmäßig etwa ab Vollendung des dritten Lebensjahres persönlich anzuhören (§ 159 Abs. 2 FamFG). Diese Anhörung kann mangels vergleichbaren Verfahrensgegenstands grundsätzlich nicht durch eine vorangegangene Anhörung in einem Umgangsrechtsverfahren ersetzt werden.
Der wesentliche Inhalt einer durchgeführten Anhörung ist nach § 28 Abs. 4 FamFG in einem schriftlichen Vermerk festzuhalten.
Die zu Unrecht unterbliebene Kindesanhörung begründet einen schwerwiegenden Verfahrensfehler, der auf entsprechenden Antrag hin die Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG rechtfertigt.
Vorinstanz: 41 F 144/17 SO AG Saarbrücken
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT
BESCHLUSS
In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für
1. D. T.,
2. E. T.,
– Verfahrensbeistand: Rechtsanwalt –
weiter beteiligt:
1. Mutter: E. T.,
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin,
– Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt –
2. Vater: G. T.,
Antragsgegner und Beschwerdeführer,
– Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte –
3. Regionalverband … pp.,
hat der 9. Zivilsenat – Senat für Familiensachen II – des Saarländischen Oberlandesgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Quack, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Madert-Groß und den Richter am Oberlandesgericht Schulz am 29. Dezember 2017 beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der undatierte Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Saarbrücken – 41 F 144/17 SO -, durch welchen die elterliche Sorge für die Kinder E. T., geboren am XX.XX.XXXX, und D. T., geboren am XX.XX.XXXX, auf die Antragstellerin zur alleinigen Ausübung übertragen wurde, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Familiengericht zurückverwiesen.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
3. Der Verfahrenswert für die Beschwerdeinstanz wird auf 3.000 Euro festgesetzt.
4. Dem Antragsgegner wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. S., Neunkirchen.
5. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., Saarbrücken.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Kindesmutter) und der Antragsgegner (Kindesvater), die beide die kirgisische Staatsangehörigkeit besitzen, sind die Eltern der Kinder D., geboren am XX.XX.XXXX, und E., geboren am XX.XX.XXXX. Ihre Ehe ist geschieden. Die Kinder leben bei der Antragstellerin, der durch Beschluss des Familiengerichts vom 9. April 2013 in dem Verfahren 41 F 88/13 SO mit Zustimmung des Antragsgegners das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wurde. Der Umgang des Antragsgegners mit den Kindern wurde durch mehrere gerichtlich protokollierte
Vergleiche geregelt, unter anderem in dem Verfahren 41 F 486/15 SO, in dem D. am 14. Januar 2016 durch das Familiengericht angehört wurde.
In dem vorliegenden, auf den Antrag der Antragstellerin vom 15. Mai 2017 eingeleiteten Sorgerechtsverfahren erstrebt diese zuletzt die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge für die beiden Kinder. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegen getreten.
Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 29. Mai 2017 Rechtsanwalt B. zum Verfahrensbeistand für die Kinder bestellt und am 27. Juni 2017 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem sich der Verfahrensbeistand und die Vertreterin des Jugendamts gegen eine Beibehaltung der gemeinsamen Sorge ausgesprochen haben. Eine Kindesanhörung unterblieb.
Durch den angefochtenen, undatierten – möglicherweise im Termin am 27. Juni 2017 verkündeten – Beschluss, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht antragsgemäß die elterliche Sorge für E. und D. auf die Antragstellerin zur alleinigen Ausübung übertragen.
Mit seiner Beschwerde, deren Zurückweisung die Antragstellerin – unterstützt durch den Verfahrensbeistand – beantragt, will der Antragsgegner die Aufhebung des Beschlusses erreichen. Auf den Hinweis der Senatsvorsitzenden vom 27. November 2017 haben alle Beteiligten mit Ausnahme des Jugendamts, das sich in zweiter Instanz nicht geäußert hat, die Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht beantragt.
Die Akten 41 F 88/13 SO, 41 F 89/13 UG, 41 F 169/13 UG, 41 F 485/15 SO, 41 F 486/15 UG, 41 F 145/17 UG und 41 F 175/17 UG des Amtsgerichts – Familiengericht – Saarbrücken lagen dem Senat vor.
II.
Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache einen vorläufigen Erfolg.
Die Entscheidung des Familiengerichts, das rechtsbedenkenfrei und im Beschwerdeverfahren unbeanstandet (stillschweigend) seine internationale Zuständigkeit angenommen und deutsches Sachrecht angewendet hat, kann keinen Bestand haben, weil das erstinstanzliche Verfahren an einem schwerwiegenden Mangel leidet.
Gemäß § 159 Abs. 2 FamFG ist ein Kind, das – wie D. und E. – das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, persönlich durch das Familiengericht anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. Die erste Voraussetzung liegt bei einem – hier gegebenen – Verfahren nach § 1671 BGB regelmäßig vor (Keidel/Engelhardt, FamFG, 19. Aufl., § 159 Rn. 8). Denn die Neigungen, Bindungen und der Wille des von dem Verfahren betroffenen Kindes stellen für die Entscheidung, ob die elterliche Sorge oder eines Teils davon auf einen Elternteil zu übertragen ist, einen maßgeblichen Gesichtspunkt dar. Dessen Bedeutung hat das Gericht bei der Verfahrensgestaltung dadurch Rechnung zu tragen, dass es sich einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind verschafft und dieses selbst zu Wort kommen lässt, um ihm so die Gelegenheit zu geben, seine persönlichen Beziehungen zu beiden Elternteilen gegenüber der zur Entscheidung berufenen Person erkennbar werden zu lassen (vgl. Keidel/Engelhardt, aaO, Rn. 2).
Die danach gebotene Anhörung der beiden Kinder hat das Familiengericht nicht durchgeführt. Zumindest wurde der wesentliche Inhalt einer etwa durchgeführten Anhörung entgegen § 28 Abs. 4 FamFG nicht in einem schriftlichen Vermerk festgehalten, was ebenfalls einen Verfahrensfehler begründet (vgl. BGH, FamRZ 2001, 907, 908; 6. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts, Beschluss vom 25. März 2010 – 6 UF 136/09, FamRZ 2010, 2085, 2086).
Schwerwiegende Gründe i.S. des § 159 Abs. 3 Satz 1 FamFG, bei deren Vorliegen von einer persönlichen Anhörung des Kindes abgesehen werden darf, hat das Familiengericht nicht festgestellt und sind auch ansonsten nicht ersichtlich.
Der von dem Familiengericht angeführte Umstand, dass D. bereits am 14. Januar 2016 in dem den Umgang des Antragsgegners mit den Kindern betreffenden Verfahren 41 F 486/15 UG angehört worden war, rechtfertigte das Unterbleiben einer erneuten Anhörung nicht. Eine solche kann allenfalls dann entbehrlich sein, wenn das frühere Verfahren, in dem das Kind angehört wurde, einen vergleichbaren Verfahrensgegenstand aufwies. Das ist bei einem Umgangs- und einem Sorgerechtsverfahren indes nicht der Fall (Hammer in Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl., § 159 Rn. 12). Dessen ungeachtet lag die Anhörung D.s bei Einleitung des erstinstanzlichen Verfahrens schon fast eineinhalb Jahre zurück, wobei die Dokumentation ihres wesentlichen Inhalts auch nur aus zwei Sätzen besteht („D. erklärt, er wolle den Papa sehen. Er sei damit einverstanden, dass er zusammen mit E. den Papa alle 14 Tage von Samstag auf Sonntag besuche.“). Für die hier zu beurteilende Sorgerechtsfrage kann die Anhörung am 14. Januar 2016 daher nicht herangezogen werden.
Die Anhörung D.s am 17. August 2017 in dem Verfahren 41 F 145/17 UG fand erst nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens statt und konnte schon aus diesem Grund bei der Entscheidung des Familiengerichts keine Berücksichtigung finden.
Eine Anhörung E.s ist, soweit ersichtlich, in keinem der zwischen den Kindeseltern bislang geführten Sorgerechts- und Umgangsverfahren erfolgt. Sie war jedoch zumindest in dem vorliegenden Verfahren gemäß § 159 Abs. 2 FamFG ebenfalls verfahrensrechtlich geboten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Kinder grundsätzlich ab einem Alter von etwa drei Jahren anzuhören, um ihren tatsächlichen Willen zu ermitteln (vgl. BVerfG, FamRZ 2010, 1622, 1623; FamRZ 2007, 1078, 1079). E. war während des erstinstanzlichen Verfahrens fünf Jahre alt.
Soweit das Familiengericht eine Kindesanhörung möglicherweise – insoweit sind die Beschlussgründe nicht eindeutig – deshalb für entbehrlich hielt, weil ein Wechsel der Kinder in den Haushalt des Antragsgegners nicht vorgesehen sei, handelt es sich um einen Aspekt, der in erster Linie das Aufenthaltsbestimmungsrecht betrifft. Dieses wurde der Antragstellerin bereits durch Beschluss vom 9. April 2013 in dem Verfahren 41 F 88/13 SO übertragen. In dem hier zugrunde liegenden Verfahren ist darüber zu befinden, ob auch die übrigen Teilbereiche der elterlichen Sorge auf die Antragstellerin zu übertragen sind mit der Folge, dass der Antragsgegner insgesamt von der elterlichen Sorge ausgeschlossen wäre. Dazu, dass eine Kindesanhörung, was ein Absehen von ihr im Einzelfall rechtfertigen kann (vgl. Ziegler in SchulteBunert/Weinreich, FamFG, 5. Aufl., § 159 Rn. 9), für diese Beurteilung von vornherein keinen Erkenntnisgewinn verspricht, hat das Familiengericht nichts ausgeführt. Das liegt nach den Umständen auch nicht nahe, zumal das Familiengericht in dem angefochtenen Beschluss selbst auf das sehr gute Verhältnis des Antragsgegners zu seiner Tochter E. hinweist und D. bei seiner Anhörung am 14. Januar 2016 in dem Umgangsverfahren 41 F 486/15 UG eine emotionale Verbundenheit mit seinem Vater zum Ausdruck brachte.
Die zu Unrecht unterbliebene Kindesanhörung begründet einen schwerwiegenden Verfahrensfehler, aufgrund dessen der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG an das Familiengericht zurückzuverweisen ist (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2015, 1521; OLG Celle, FamRZ 2013, 1681; OLG Naumburg, Beschluss vom 27. September 2011 – 8 UF 165/11, juris; Hammer in Prütting/Helms, aaO, § 159 Rn. 30; siehe auch 6. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts, aaO). Dieses wird im Anschluss an die durchzuführenden Kindesanhörungen zunächst den Kindeseltern sowie den weiteren Beteiligten rechtliches Gehör hierzu zu geben haben. Sodann wird gegebenenfalls neu zu erwägen sein, ob es der Einholung des – von der Beschwerde ausdrücklich geforderten –Sachverständigengutachtens bedarf.
Den für die Zurückverweisung notwendigen Antrag haben beide Elternteile sowie der Verfahrensbeistand gestellt.
Von der Durchführung eines Erörterungstermins im Beschwerdeverfahren wurde gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen.
Die Entscheidung über die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 20 FamGKG. Die Festsetzung des Verfahrenswertes für die Beschwerdeinstanz folgt aus § 40 Abs. 1 Satz 1, § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FamGKG.
Den Kindeseltern ist für den zweiten Rechtszug jeweils ratenfreie Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 119 Abs. 1 ZPO).
Die Rechtsbeschwerde wird mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen (§ 70 FamFG) nicht zugelassen.
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