SG Bremen, Beschluss vom 15.04.2014 – S 33 SO 78/14 ER
Sozialgericht Bremen
Beschluss
In dem Rechtsstreit
1. M. A., Bremen,
2. K. F. Y., Bremen, vertreten durch M. A., Bremen,
3. B. M.,Bremen, vertreten durch M. A., Bremen,
4. M. M.,Bremen, vertreten durch M. A., Bremen,
5. A. M.,Bremen, vertreten durch M. A., Bremen,
Antragsteller,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Freddy und Heino Beier,
Gröpelinger Heerstaße 387, 28239 Bremen Az.: F/2014/019 (BA)
gegen
Stadtgemeinde Bremen, vertreten durch die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen, – Referat 13 -,
Bahnhofsplatz 29, 28195 Bremen, Az.:
Antragsgegnerin,
hat die 33. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 15. April 2014 durch den Richter am Sozialgericht Dr. B. beschlossen:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung vom 12. März 2014 bis zum 31. August 2014, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe, jedoch unter Berücksichtigung von nur jeweils 85 % des für die Antragsteller maßgeblichen Regelbedarfs, nach dem SGB XII zu gewähren.
Im übrigen werden die Anträge abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 9/10.
Den Antragstellern wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Freddy Beier als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
GRÜNDE
I. Die am 13. Mai 1984 geborene Antragstellerin zu 1) besitzt die bulgarische Staatsangehörigkeit und ist seit Juli 2009 in Deutschland wohnhaft. Sie bewohnt mit ihren Kindern, den am 30. September 2002, am 6. Februar 2010, am 4. August 2011 und am 12. Juli 2012 geborenen Antragstellern zu 2) bis 5), eine Wohnung mit monatlichen Kosten in Höhe von 460 EUR für die Grundmiete, für Nebenkostenvorauszahlungen 80 EUR und Heizkostenvorauszahlungen 93 EUR. Für die Kinder wird Kindergeld in Höhe von 184 EUR, 184 EUR, 190 EUR und 215 EUR gewährt, dazu ein Unterhaltsvorschuss in Höhe von 133 KUR, 133 EUR, 133 EUR und 180 EUR. Der Antragsteller zu 2) besucht in Bremen eine Grundschule.
Die Antragsteller beantragten am 12. Februar 2014 bei der Antragsgegnerin Leistungen nach den Kapiteln 3 und 5 bis 9 SGB XII.
Den Antragstellern waren zuvor aufgrund von Beschlüssen des Sozialgerichts Bremen vom 7. Dezember 2012, vom 3. Juni 2013 und vom 19. Dezember 2013 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 6. Dezember 2012 bis 30. November 2013 und vom 2. Dezember 2013 bis zum 31. Mai 2014 (S 21 AS 2369/13 ER) gewährt worden; das LSG Niedersachsen-Bremen setzte die Vollstreckung des letzten Beschlusses mit Beschluss vom 15. Januar 2014 zunächst aus und hob sodann den Beschluss des SG mit Beschluss vom 18. Februar 2014 unter Ablehnung des Antrags auf. Das Jobcenter Bremen gewährte ab dem 1. Februar 2014 keine Leistungen mehr. Das Jobcenter setze die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29. Januar 2014 von der Leistungseinstellung in Kenntnis und leitete den ursprünglichen Antrag vom September 2012 an die Antragsgegnerin weiter.
Mit Bescheid vom 19. Februar 2014 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Kapitel 3 des SGB II für die Antragsteller ab, da sie grundsätzlich zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II gehörten. Hiergegen erhoben die Antragsteller am 7. März 2014 Widerspruch, über den soweit ersichtlich noch nicht entschieden worden ist.
Mit dem am 12. März 2014 beim Sozialgericht Bremen eingegangenen Antrag begehren die Antragsteller,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig ab Antragseingang bei Gericht ggf. für sechs Monate, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise den Antragstellern Leistungen der Sozialhilfe im Sinne einer Notversorgung nach der jüngsten Rechtsprechung des LSG Niedersachen-Bremen zu gewähren.
Die Antragsgegnerin verweist auf die dem Grunde nach bestehende Leistungsberechtigung der Antragssteller nach dem SGB II und auf § 21 Abs. 1, § 23 Abs. 3 SGB XII.
II. Der Antrag ist zulässig und überwiegend begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann, wenn — wie hier — ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt, das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Ahordnungsgrund und -anspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SOG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung — ZPO). Wenn im Einzelfall damit zu rechnen ist, dass ohne die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache unzumutbare und irreparable Nachteile entstehen, ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens. Sofern ein Erfolg in der Hauptsache nicht auszuschließen ist, weil insbesondere eine abschließende Sachverhaltsaufklärung im Hauptsacheverfahren nicht möglich ist, bedarf es einer Folgenabwägung, in der die grundrechtlichen Belange des Antrabstellers, namentlich die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines die Menschenwürde wahrenden Existenzminimums, umfassend zu berücksichtigen ist.
Die Antragssteller haben einen Anordnungsgrund und -anspruch glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund ergibt sich aus der existenzsichernden Natur der geltend gemachten Leistungen. Ein Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 23 Abs. 1 Satz 3, §27 Abs. 1 SGB XII.
Hilfe zum Lebensunterhalt ist nach § 27 Abs. 1 SGB XII Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Nach dem zugrunde zu legenden Vorbringen der Antragsteller ist von einer Hilfebedürftigkeit nach § 27 SGB XII auszugehen, soweit das Einkommen aus Kindergeld und Unterhaltsvorschüssen die Bedarfe nicht abdeckt.
Einem Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts steht nicht bereits § 21 Satz 1 SGB XII entgegen. Danach erhalten Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Diese Regelung dient der Systemabgrenzung, welche Hilfebedürftige Leistungen nach den Vorschriften des SGB II oder nach den Vorschriften des SGB XII beanspruchen können. Für Hilfebedürftige, die nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, greift dieser Ausschluss nicht (umstritten, vgl. LSG Hamburg, v.14.1.2013 – L 4 AS 332/12 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2.10.2012, L 19 AS 1393/12 B ER, L 19 AS 1394/12; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.7.2012, L 9 AS 563/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.6.2012, L 14 AS 933/12 B ER, Fundstellen jeweils Juris); nach der Rechtsprechung des 15. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen, die vorliegend zugrunde gelegt wird, greift ein Ausschluss jedenfalls für Leistungen einer „Notversorgung“ (nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII oder nach § 73 SGB XII) nicht (Beschluss v. 15.11.2013 – L 15 AS 365/13 B ER, Juris). Hierunter fallen nicht nur Leistungen, die eine Ausreise ermöglichen sollen, sondern auch die zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zu einer Ausreise notwendigen Leistungen. Denn es widerspräche dem verfassungsrechtlichen Schutz des Existenzminimums, wenn für (nur) arbeitsuchende EU-Ausländer ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII in vollem Umfang ausgeschlossen wäre. Aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergibt sich ein Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht, der so ausgestaltet sein muss, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG v. 18.7.2012 — 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Eine Einschränkung der Höhe der Leistung etwa für Ausländer, deren Aufenthalt nicht auf Dauer angelegt ist, ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich aufgrund der Kürze des Aufenthalts ein Minderbedarf feststellen lässt; eine Beschränkung aus migrationspolitischen Erwägungen, um keine Anreize für einen Aufenthaltsnahme und eine Verlängerung des Aufenthalts zu setzen, ist nicht zulässig (BVerfG a.a.O.). Erst recht ist daraus abzuleiten, dass ein vollständiger Ausschluss von existenzsichemden Leistungen sowohl nach dem SGB II als auch nach dem SGB XII und eine Verweisung auf eine sofortige Ausreise den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht genügen würde.
Dagegen, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige, die nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, im Sinne des § 21 Abs. 1 SGB XII dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, spricht schließlich auch die Regelung des § 23 Abs. 3 SGB XII, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich nur aus dem Zweck der Arbeitssuche ableitet, von Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen sind. Diese Regelung wäre weitenteils überflüssig, wenn der Anspruch bereits aus dem Grund ausgeschlossen wäre, dass aufgrund der bei Arbeitsuchenden regelmäßig gegebenen Erwerbsfähigkeit dem Grunde nach ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestünde.
Ein Leistungsanspruch ist auch nicht nach § 23 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu leisten. Im Übrigen kann nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Nach § 23 Abs. 3 SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.
Die Antragsteller erfüllen die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 SGB XII, da sich ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) nur aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Der Ausschluss nach § 23 Abs. 3 SGB XII ist für die Antragsteller nicht bereits wegen eines Anspruchs auf Gleichbehandlung nach Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11.12.1953 (EFA) unbeachtlich, weil die Antragsteller keinem Abkommensstaat angehören.
Ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ergibt sich jedoch aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Bereits in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu der Vorgängerregelung des § 23 Abs. 1 SGB XII, dem § 120 Abs. 1 BSHG, wurde ein Sozialhilfebezug selbst bei einer Einreise zum Zweck des Bezugs von Sozialhilfe, der zum Ausschluss eines Anspruchs nach § 120 Abs. 3 BSHG a.F. führte, im Ermessenswege auf § 120 Abs. 1 Satz 2 BSHG a.F. gestützt, auch soweit es um Leistungen zum Lebensunterhalt ging. Entsprechend vertritt das LSG Nordrhein-Westfalen die Auffassung, dass § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII verfassungskonform dahingehend auszulegen ist, dass zwar ein Rechtsanspruch auf die in § 23 Abs. 1 vorgesehenen Leistungen ausgeschlossen ist, eine Hilfegewährung im Ermessenwege nach § 23 As. 1 Satz 3 SGB XII jedoch zulässig ist, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (Beschluss v. 25.11.2013 — L 19 AS 578/13 B ER, Juris). Auch der 15. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss v. 15.11.2013. L 15 AS 365/13 B ER, Juris) sieht es als unumstritten an, dass ein sozialhilferechtlicher Anspruch auf die nach den Umständen des Einzelfalls unabweisbar gebotenen Leistungen auch bei Vorliegen von Leistungsausschlussgründen erhalten bleibt. Bei den Ermessensleistungen sind dabei hinsichtlich Art (Sach- oder Geldleistung) und Umfang der Leistungen Einschnitte möglich. Unter Würdigung der Rechtsprechung des BVerfG zu § 3 AsyIbLG (Urteil vom 18. Juli 2012 — 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11), die für die Gewährleistung des Existenzminimums auf die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage verweist, ist die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII jedoch weitergehend verfassungskonform auszulegen.
Das BVerfG führt in dem angegebenen Urteil u.a. aus:
,,Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (vgl. BVerfGE 125, 175 <223> m.w.K).
c) Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Dies verlangt bereits unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt.
Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkommt, ist das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (vgl. BVerfGE 125, 175 <223 f.>).
d) Der Leistungsanspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG ist dem Grunde nach von der Verfassung vorgegeben. Sein Umfang kann jedoch nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation der Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen (vgl. BVerfGE 125, 175 <224>)“
Und an anderer Stelle weiter:
„c) Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren <13. Ausschuss> vom 24. Mai 1993, BTDrucks 12/5008, S. 13 f.). Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“
Aus diesen Maßstäben ist abzuleiten, dass das Ermessen hinsichtlich des „Ob“ der Leistungsgewährung und hinsichtlich der Höhe der Leistungen auf Null reduziert ist, soweit es um die zur Sicherung des Lebensunterhalts unerlässlichen Leistungen geht. Inwieweit es für einen Anspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, der nur im Ermessenswege gewährt wird, wenn es im Einzelfall gerechtfertigt ist, noch auf das Bestehen einer atypischen Situation ankommen kann, die in der bisherigen Rechtsprechung als erforderlich angesehen wurde, da allein die Hilfebedürftigkeit keine Rechtfertigung im Einzelfall darstellen könnte (vgl. zur Vorgängerregelung etwa OVG Berlin v 22.4.2003 – 6 S 9.03, Juris), ist nach der Entscheidung des BVerfG fraglich. Selbst wenn zusätzlich gefordert würde, dass eine Ausreise eine besondere Härte darstellen würde, wäre dieses für die Antragsteller nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung jedoch gegeben, da sich die Antragstellerin zu 1) als Mutter der anderen Antragsteller bereits seit mehr als 4 Jahren in Deutschland aufhält, so dass ein Daueraufenthaltsrecht in näherer Zukunft möglich scheint und da die Antragsteller zu 3) bis 5) in Deutschland geboren wurden und der Antragsteller zu 2) die Schule in Deutschland besucht, so dass eine sofortige Ausreise eine besondere Härte darstellen würde.
Wenn zur Höhe der zu gewährenden Leistungen regelmäßig formuliert wird (LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.), jedenfalls das zum Lebensunterhalt Unerlässliche sei zu erbringen, knüpft das an die Rechtsfolge des § 26 SGB XII an, wozu vertreten wurde, dass eine Beschränkung in Höhe von 20 bis zu 30% des Regelbedarfs zulässig ist (vgl. Holzhey in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 26 SGB XII, Rz. 23). Auch nach § la AsylbLG besteht die Möglichkeit der Leistungseinschränkung auf das unabweisbar nach den Umständen im Einzelfall Gebotene. Zu beachten ist jedoch, dass nach der Entscheidung des BVerfG zu § 3 AsylbLG eine Einschränkung des grundgesetzlich gewährleisteten Anspruchs auf Sicherung des Lebensunterhalts nur dann vorgenommen werden kann, wenn für einen bestimmten Personenkreis belegt ist, dass ein geringerer Bedarf besteht. Einer Einschränkung „aus migrationspolitischen Erwägungen“ wurde dagegen eine Absage erteilt. Zur Leistungseinschränkung nach § la Nr. 2 AsylbLG wurde nach der BVerfG-Entscheidung in der Rechtsprechung bisher überwiegend entschieden, dass die Leistungseinschränkung unter Streichung der soziokulturellen Leistungen weiterhin verfassungsrechtlich zulässig ist, da diese Tatbestandsalternative nicht auf migrationspiotischen Erwägungen beruhe, sondern an einer Pflichtverletzung des Leistungsberechtigten anknüpfe (LSG Berlin-Brandenburg vom 23.7.2013 – L 23 AY 10/13 B ER, LSG Thüringen v. 17.1.2013 – L 8 AY 1801/12 B ER, LSG Niedersachsen-Bremen v. 20.3.2013 – L 8 AY 59/1213 ER, Fundstellen allesamt bei Juris).
Die Kammer sieht es jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzverfahrens als zulässig an, die Regelbedarfe der Antragssteller nur zu 85 % zugrunde zu legen, womit berücksichtigt wird, dass der Gesetzgeber von einer Beendigung des Aufenthalts ausgeht, wenn dieser nur der Arbeitssuche dient und wenn keine existenzsichernden Mittel zur Verfügung stehen. Im Übrigen ist die Höhe der Leistungen nach den zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 27 SGB XII maßgeblichen Vorschriften unter Anrechnung des Einkommens zu berechnen unter Einschluss auch der Kosten der Unterkunft und Heizung.
Hinsichtlich der Art der Leistungserbringung (Sachleistungen oder Geldleistungen), für die ebenfalls Ermessen der Antragsgegnerin bestehen dürfte, legt die Kammer eine Erbringung als Geldleistung zugrunde, da die Antragsgegnerin Sachleistungen nicht angeboten hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung und berücksichtigt das nur geringfügige Unterliegen der Antragsteller.
Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 114 Satz 1, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).
HINWEIS
I. Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft. Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung beim Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder der Zweigstelle des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
II. Soweit Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, ist dieser Beschluss für die Beteiligten dieses Verfahrens gemäß § 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO unanfechtbar.
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